Ana Hoffner

Queere Perspektiven in und auf Europa

Ausgehend von den jüngsten Angriffen auf queere Paraden in Belgrad, Zagreb und Sarajevo ging das Projekt der Frage nach der Organisation von Sexualität im gegenwärtigen Europa nach. Durch eine queere Perspektive sollten herkömmliche Erklärungsmuster für Homophobie dekonstruiert werden. So kann Nationalismus nicht als Ursache für Homophobie begriffen werden, vielmehr sind Nationalismus und die damit verbundenen Homophobie-Effekte globale Umstrukturierungsprozesse, in deren Mittelpunkt die Konstruktion eines einheitlichen Europa steht. Das Ziel einer europäischen Vereinheitlichung lässt sich seit dem radikalen Bruch mit osteuropäischer Geschichte durch den Fall des Eisernen Vorhangs 1989 beobachten, insbesondere aber seit der Osterweiterung der Europäischen Union 2004.

Für die Konstruktion eines einheitlichen Europa scheinen in der Gegenwart bestimmte Formen von gleichgeschlechtlicher Politik entscheidend zu sein. Die Einführung westlicher Diskurse der sexuellen Befreiung in Osteuropa und der damit verbundene Einschluss sexueller Andersartigkeit in nationalstaatliche Gefüge und den kapitalistischen Markt formieren sexuelle Überlegenheit als wichtiges Instrument eines eurozentristischen kolonialen Projekts. Mithilfe von Homonormativität und Queersein, die als Beispiele eines sexuell emanzipierten Westens dienen, wird ein postsozialistischer Osten als homophob definiert. Der sich dabei formierende sexuelle Rettungsdiskurs dient als Legitimation für die seit 1989 stattfindende Expansionspolitik und Vergrößerung kapitalistischer Märkte, die eine umfassende Kontrolle Osteuropas sicherstellen.

Privatisierung und neoliberale Umstrukturierung, die an kolonialistische Ausbeutung durch die Habsburger Monarchie erinnern, haben zu einer sozialen Deregulierung und Verelendung geführt, die im Namen der europäischen Vereinheitlichung weitestgehend unerwähnt bleiben. Osteuropäische Regionen, die als transitional bezüglich aller soziopolitischen, wirtschaftlichen und kulturellen Fragen bezeichnet werden, werden so von westlichen Wahrheitsregimen abhängig gemacht. Sexuelle Emanzipation als Beispiel eines solchen Wahrheitsregimes hat eine entscheidende Funktion, wenn es darum geht, bestimmte Formen von Sexualität für schützenswert zu erklären. Diese Sexualitäten werden in weiterer Folge dazu benutzt, ganze Bevölkerungen als sexuell unemanzipiert und damit als nicht EU-reif zu stigmatisieren.

Das Projekt ging davon aus, dass gegenwärtige Formen von Sexualpolitik in genau diese Prozesse eingebettet sind. Der durch den Kolonialismus geprägte Zivilisierungsgedanke findet seine Fortsetzung im Modell einer demokratisch funktionierenden Zivilgesellschaft, deren Teil die Integration des vormals sexuell anderen ist. Eine solche Zivilgesellschaft soll in postsozialistischen Staaten etabliert werden. Jedoch ist die scheinbare Öffnung westeuropäischer Gesellschaften für sexuelle Vielfalt, die als das zivilisatorische Fernziel für Osteuropa gilt, selbst nicht funktional. In Deutschland ist beispielsweise der Kampf gegen Homophobie mittlerweile Teil einer Integrationspolitik, die MigrantInnen als RepräsentantInnen des homophoben anderen innerhalb einer demokratisch strukturierten Gesellschaft erzeugt. Indem Homophobie zum Problem der anderen gemacht wird, erscheint die Mehrheitsgesellschaft als (neo-)liberal und tolerant.
Ana Hoffner

Ana Hoffner präsentierte im Laufe der Fellowship hre Forschungsergebnisse in Form von zwei Lectureperformances und einer Diskussionsveranstaltung.

Im Rahmen des Seminars Gender Studies der Abteilung für Vergleichende Literaturwissenschaft, Institut für Sprachen und Literaturen der Universität Innsbruck, das unter der Leitung von Julia Prager stattfand, präsentierte Ana Hoffner die inhaltlichen Schwerpunkte ihrer Arbeit und ihre Arbeitsweise.

Ana HOFFNER (*1980 in Jugoslawien) ist Künstler_in, Kulturwissenschaftler_in, Performer_in und Mentor_in, lebt in Wien. Hoffner studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien und arbeitet in den Bereichen queerer und migrantischer/postkolonialer Politik. Ihre Projekte umfassen Ausstellungen, Performances, Lectures und Publikationen im In- und Ausland.
www.anahoffner.com