“…und die Ausgrabungen förderten unvorhergesehene Funde zutage” – Berichte aus dem Kapitalozän

Angela Anderson, Michael Baers, Aikaterini Gegisian, Riccardo Giacconi

Design by Annette Sonnewend

Die Tiroler Künstler:innenschaft lädt Sie und Ihre Freund:innen herzlich zur Ausstellungseröffnung im Rahmen des Fellowship-Programms für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen 2018-19 in den Kunstpavillon ein.

Die Ausstellung „… und die Ausgrabungen förderten unvorhergesehene Funde zutage“ – Berichte aus dem Kapitalozän zeigt neue, in Innsbruck entstandene Arbeiten der Teilnehmer:innen am Fellowship-Programm für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen 2018–19. In ihren jeweiligen Arbeitsvorhaben beschäftigten sich Angela Anderson, Michael Baers, Aikaterini Gegisian und Riccardo Giacconi mit vergessenen beziehungsweise unterbeleuchteten sozialen und politischen Narrativen, die für das Verständnis gegenwärtiger gesellschaftlicher Dynamiken als relevant erscheinen. Die Beiträge der vier Künstler:innen schließen sich zu einer mehrstimmigen, virtuellen Erzählung unterschiedlicher Aspekte historischer Werdung unserer Gegenwart zusammen, als poetische Berichte aus einer vom Monotheismus kartesianischer Rationalität sich allmählich lösenden Zeit. Dieser Monotheismus hat die janusköpfige Gestalt des Kapitalozäns hervorgebracht, die ihre Natur beständig zu verschleiern versucht, indem sie die mit der fortschreitenden Verfügbarmachung der Erde als Ressource einhergehenden gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen als unerheblich bagatellisiert. Im Kapitalozän gerät alles, also auch Menschen und nicht nur die Erde, zur Ressource – umso wichtiger erscheint es daher, die Mechanismen dieser Verfügbarmachung und Verschleierung zu durchleuchten, Verschüttetes auszugraben und neu zu ordnen. Diese Ausstellung nimmt sich dies gewissermaßen vor: Angela Anderson stellt in ihrer multimedialen, cinematischen Installation gegenwärtige realpolitische, feministische Alternativen zu den Natur und Kultur vernichtenden Maschinerien des androzentristischen, extraktiven Kapitals in den Mittelpunkt. Die diskreten Zeichen des Alltags, die den Übergang einer Gesellschaft in den Totalitarismus begleiten, beschäftigen Michael Baers in seinem Hörstück, dessen Erzählstrang im Frühjahr 1933 angesiedelt ist, als in Innsbruck die Nationalsozialisten bei den Gemeinderatswahlen Erfolge feiern. In ihrer sechsteiligen Videoarbeit unterzieht Aikaterini Gegisian die Repräsentation und Vermittlung des europäischen Gemeinschaftsprojektes, wie es in US-Wochenschauen der 1940er und 1950er Jahre vor allem als notwendigerweise vernetztes Reindustrialisierungsprojekt Europas nach dem Krieg dargestellt wurde, einer feministisch konnotierten Reinterpretation. Riccardo Giacconi schließlich thematisiert in einer multimedialen Installation die in den 1970er Jahren unter dem Namen Milano 2 vom Investor Silvio Berlusconi realisierten „konservativen Utopie“ eines Lebensraumes als kapitalistisch angebiederte, proto-populistische Wohnarchitektur zwischen Pseudo-Traditionalismus und neuen Medien.

Veranstaltungstermine:

Im Rahmen der Ausstellung finden auch vier Veranstaltungen statt, die die präsentierten Arbeiten besprechen beziehungsweise deren thematische Schwerpunkte erweitern.

Am Freitag 17. Mai um 18.00 Uhr zeigt Aikaterini Gegisian in einem fortlaufenden Screening die ersten drei Episoden ihrer sechsteiligen Videoarbeit Third Person (Plural) (2017-19). Anschließend findet eine Diskussion mit dem portugiesischen Kurator Miguel Amado (Direktor von Cork Printmakers, Irland) statt. Ort: Kunstpavillon.

Am Dienstag 21. Mai um 19.00 Uhr wird der ursprünglich für die Zweiten Büchsenhausen Focus Weeks 2019 Mitte März auf Einladung von Aikaterini Gegisian geplante Vortrag von David Kazanjian (Amerikanist und vergleichender Literaturwissenschaftler, University of Pennsylvania) über Formen der Enteignung nachgeholt. Die Veranstaltung findet in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Interamerikanische Studien der Universität Innsbruck (ZIAS) statt. Ort: Kunstpavillon.

Am Donnerstag 6. Juni um 19.00 Uhr zeigt Aikaterini Gegisian in einem fortlaufenden Screening die letzten drei Episoden ihrer sechsteiligen Videoarbeit Third Person (Plural) (2017-19). Anschließend findet eine Diskussion mit dem Film- und Medienwissenschaftler Christian Quendler (Universität Innsbruck) statt. Ort: Kunstpavillon.

Am Samstag 8. Juni um 20.30 Uhr zeigen wir im Innsbrucker Leokino den Film Water Makes Us Wet – An Ecosexual Adventure der documenta-Teilnehmer:innen Annie Sprinkle & Beth Stephens. Die Vorführung findet auf Initiative von Angela Anderson und in Kooperation mit kinovi[sie]on, Taxispalais – Kunsthalle Tirol sowie mit Unterstützung des American Corner Innsbruck (Universität Innsbruck) statt. Nach der Vorführung diskutieren Angela Anderson, Nina Tabassomi und die Filmemacher:innen (via Skype) Aspekte des gezeigten Films. Ort: Leokino, Anichstraße 36, Innsbruck.

Details zur Ausstellung:

Ausstellung kuratiert von Andrei Siclodi
Eröffnung am Donnerstag, 16. Mai 2019, 19.00 Uhr im Kunstpavillon
Begrüßung: Katharina Cibulka, Vorstandsmitglied Tiroler Künstler:innenschaft
Einführung: Andrei Siclodi, Kurator
Dauer der Ausstellung: 17. Mai – 03. August 2019
Öffnungszeiten Kunstpavillon: Mi – Fr 11.00 – 18.00; Sa 11.00 – 15.00.
Dialogführungen auf Anfrage sowie an den Samstagen des 15. Juni und 27. Juli 2019, jeweils um 11.00 und 14.00.

Die teilnehmenden Künstler:innen:

Angela ANDERSON ist eine Künstlerin und Filmemacherin, die an der Schnittstelle zwischen den Feldern Philosophie, Ökologie, Wirtschaft, Migration, Medien und feministische & queere Theorie arbeitet. Ihrer Arbeit inhärent sind ein Bewusstsein über das Vorhanden-Sein einer intimen Verbindung zwischen medialer Produktion, Erinnerung und Vorahnung sowie das Potenzial audio-visueller Medien zur Eröffnung neuer Perspektiven. Ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften und Lateinamerikanistik schloss sie mit einem BA der University of Minnesota ab, worauf wenig später ein MA in Film and Media Studies an der New School (NYC) folgte. Gegenwärtig schreibt Anderson an der Akademie der Bildenden Künste Wien an ihrer Doktorarbeit. Seit 2013 arbeitet sie mit Angela Melitopoulos an den audio-visuellen Forschungsprojekten Unearthing Disaster, The Refrain (2015) und Crossings (2017), das bei der documenta 14 gezeigt wurde. 2016 produzierte sie ihren Kurzfilm The Sea Between You and Me für die Ausstellung Voice Outside the Echo Chamber kuratiert von Katayoun Arian im Framer Framed (Amsterdam). Neuere Ausstellungsbeteiligungen inkludieren das Minnesota Street Project (San Francisco, 2017), Holbaek Images (2016) und die Thessaloniki Biennale (2015). Sie ist außerdem als Ausstellungsdesignerin des Forum Expanded bei den Internationalen Filmfestspielen in Berlin tätig und hat mit vielen anderen Künstler:innen und Filmemacher:innen an der Realisierung performativer, filmischer und installativer Projekte gearbeitet.
https://www.angelaolgaanderson.net/

Michael BAERS erhielt 2014 seinen PhD in Practice von der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Er hat seine Arbeit international in vielen bedeutenden Kunstinstitutionen ausgestellt, unter anderem im Museum für Angewandte Kunst Frankfurt am Main, dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin, und dem Van Abbemuseum in Amsterdam. Seit 2010 war seine Arbeit auf die kulturellen Ergebnisse der fehlenden Konfliktlösung im Nahen Osten und in Nordafrika fokussiert. Seit 2013 hat er im Rahmen eines einzigartigen fotografischen Projekts mit dem Titel Necessità dei Volti geforscht, das aus dem Krieg zwischen den Völkern der Westsahara und Marokkos hervorgegangen ist. Dazu gehörten auch Recherchen auf dem Feld der Medientheorie und der Visual Studies in Verbindung mit der Geschichte des westlichen Nordafrika. Zuvor erforschte Baers Kulturpolitiken in Israel und Palästina, woraus 2014 in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin die Online-Publikation An Oral History of Picasso in Palestine entstand. Außerdem gestaltete er Comics und Texte über zeitgenössische Kunst und künstlerische Forschung, Kulturpolitik und Urbanismus und veröffentlichte Beiträge in internationalen Magazinen wie A-Prior, e-flux journal und Vector – critical research in context.

Aikaterini GEGISIAN ist griechisch-armenischer Herkunft; sie lebt und arbeitet zwischen Großbritannien und Griechenland. Aufbauend auf ihrem Beitrag im armenischen Pavillon bei der 56. Biennale von Venedig (2015, Goldener Löwe für die beste nationale Teilnahme), hat sie in den letzten beiden Jahren eine Reihe von Auftragsarbeiten entwickelt, die die Rolle von Bildern bei der Konstruktion nationaler und genderspezifischer Identitäten erkunden. Sie wurden unter anderem im Jüdischen Museum, Moskau; dem National Arts Museum of China, Peking; dem Middlesbrough Institute of Modern Art,UK; im BALTIC, Newcastle; in der Calvert 22 Foundation, London; in der Kunsthalle Osnabrück; im DEPO, Istanbul; und dem Yermilov Centre, Ukraine gezeigt. 2018 war sie Research Fellow in der Library of Congress, Washington DC. Gegisian war Büchsenhausen Fellow im jahr 2018-19.
gegisian.com

Riccardo GIACCONI studierte Kunst an der Universität von Venedig. Seine Arbeit wurde unter anderem in ar/ge kunst Bozen, MAC Belfast, WUK Kunsthalle Exnergasse in Wien, FRAC Champagne-Ardenne in Reims, tranzitdisplay Prag, MAXXI in Rom, Fondazione Sandretto Re Rebaudengo (Turin) und an der 6. Moscow International Biennale for Young Art gezeigt. Er war artist-in-residence am Centre international d’art et du paysage in Vassivière (F), lugar a dudas in Cali (COL), am MACRO Museum of Contemporary Art in Rom (IT) und in La Box, Bourges (F). Seine Filme wurden unter anderem beim New York Film Festival, dem Venice International Film Festival, dem International Film Festival Rotterdam sowie bei Visions du Réel und FID Marseille, wo er im internationalen Wettbewerb den Großen Preis gewann (2015), präsentiert. Er ist Mitbegründer des Kollektivs Blauer Hase, mit dem er die Zeitschrift Paesaggio herausgibt und das Helicotrema Festival kuratiert.

Veranstaltungsort

Kunstpavillon
Rennweg 8a
A-6020 Innsbruck

+43 512 58 11 33
office@kuveti.at