Verhandlungssache

Madeleine Bernstorff, Ana Hoffner, Brigitta Kuster, Mona Vătămanu & Florin Tudor, Ina Wudtke, Inga Zimprich/The Faculty of Invisibility

kuratiert von Andrei Siclodi
Ausstellung im Kunstpavillon, 11.06. – 24.07.2010

„Es macht […] das Wesen einer Nation aus, dass alle Individuen etwas miteinander gemein haben, auch, dass sie viele Dinge vergessen haben. […] Die Nationen sind nichts Ewiges. Sie haben einmal angefangen, sie werden enden. Die europäische Konföderation wird sie wahrscheinlich ablösen.“

Ernest Renan, Schriftsteller, Historiker, Archäologe, Religionswissenschaftler, Orientalist, Mitglied der Académie française und Antisemit in seiner Rede Was ist eine Nation? vom 11. März 1882 an der Sorbonne.

Was konstituiert das heutige EUropa? Ist die Europäische Union tatsächlich lediglich ein Staatenverbund zum Zweck der Durchsetzung eines neoliberalen Binnenmarkts? Oder spielt das politische Zusammenwachsen des vormals in Ost und West geteilten Europa als eine „Werte- und Kulturgemeinschaft“ unter dem Mantel der „Reintegration“ zwecks Wohlstands und Stabilität darin eine wichtige, möglicherweise entscheidende Rolle im Prozess der Durchsetzung marktwirtschaftlicher Interessen des Westens im Osten? Nach der großen Osterweiterung 2004 (Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowenien, Slowakei und Ungarn) und der kleinen 2007 (Rumänien und Bulgarien) entwickelt EUropa immer mehr Profilzüge einer Nation – „Nation“ im Sinne der Definition des amerikanischen Politikwissenschaftlers Benedict Anderson: als eine „imagined community“, eine als begrenzt und souverän vorgestellte Gemeinschaft. Die zwar politisch gescheiterte, aber immerhin bis 2004 aktiv betriebene Entwicklung einer EU-Verfassung sowie die aggressive Abschottung der EU-Grenzen nach außen sind eindeutige Anzeichen für diese Entwicklung. Angesichts dieser Lage stellt sich unmittelbar die Frage nach den soziopolitischen Absichten und den dahinterliegenden Mechanismen, aber auch nach den historischen Voraussetzungen, die eine bedeutende Rolle als Grundlage für diese Entwicklung spielen dürften. Und nicht zuletzt steht die Frage im Raum: Ist diese Entwicklung (noch) verhandelbar?

Die Ausstellung Verhandlungssache stellte vor dem Hintergrund dieser Fragen künstlerische (Ver‑)Handlungspolitiken in den Mittelpunkt, die sich Strategien der Artikulation von Sprache und Erinnerung bedienen und im Prozess der Subjektivierung eines „neuen EUropa“ eine wichtige Rolle spielen könnten. Queerer Aktivismus einst und heute, Institutionskritik, das Erbe des Kolonialismus sowie die postkommunistische Gesellschaft bildeten hierfür das thematische Gerüst, auf dem sich sechs diskursive Positionen entfalteten und zueinander in Beziehung traten.

Die Ausstellung war das Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Projekten, künstlerischen Vorstellungen und Arbeitsweisen der Teilnehmer:innen am Internationalen Fellowship-Programm für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen 2009/10. Ihre künstlerischen Ansätze, Untersuchungsgebiete und Themen bildeten den Ausgangspunkt. Das kuratorische Konzept sah die schrittweise Entwicklung der Ausstellungsthematik und des Displays parallel zum Fortschreiten der Projekte der involvierten Künstlerinnen vor: Madeleine Bernstorff beschäftigte sich mit der Repräsentation der Suffragetten, der militanten Frauenrechtlerinnen Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts, im frühen Stummfilm. Ana Hoffner ging in ihrem künstlerischen Forschungsprojekt der Frage nach der Organisation von Sexualität im gegenwärtigen Europa sowie der Instrumentalisierung dieser Sexualität durch den kapitalistischen Westen zum Zweck der Umsetzung eines eurozentristischen, kolonialen Projekts im ehemaligen Osten nach. Ina Wudtke bereitete die Ausstellung Griot Girlz, die feministische Kunst im Kontext von Musik mit afro-amerikanischen Wurzeln zeigt, vor. Inga Zimprich widmete sich gemeinsam mit der Faculty of Invisibility (Sönke Hallmann u. a.) der Auseinandersetzung mit dem performativen Versprechen der Vereinten Nationen, diesem exemplarischen, diplomatischen Verhandlungsraum, innerhalb dessen „Sprache, Gesetz und Gemeinschaft ineinanderschnellen“ (Inga Zimprich).

Zu diesen Positionen gesellten sich drei ehemalige Büchsenhausen-StipendiatInnen, die sich auf unterschiedliche Weise für eine aktive Aufarbeitung von Geschichte einsetzen: Brigitta Kuster beschäftigte sich in ihrer Arbeit mit dem kolonialen Archiv bzw. der kolonialen Bibliothek und den darin begrabenen Vorstellungen, deren Auswirkungen im Prozess der Konstitution des heutigen EUropa weiterhin eine Rolle spielen. Mona Vătămanu & Florin Tudor thematisierten das Erinnern als unabdingbare Voraussetzung für das Verstehen unserer gegenwärtigen postkommunistischen Gesellschaft. In ihren Arbeiten adressieren sie symbolhaft die durch den Wertewandel der letzten zwei Dekaden hervorgerufene allgemeine gesellschaftliche Verunsicherung.

Eine Ausstellung ist immer auch selbst Verhandlungssache, das Resultat eines vielschichtigen Verhandlungsprozesses im Rahmen seiner Gegebenheiten. Verhandlungen können erfolgreich verlaufen, aber auch scheitern. In Verhandlungssache wurden bewusst beide Ergebnisse zur Diskussion gestellt.

 

Die Arbeiten

Madeleine Bernstorff
Der Fanatismus der Suffragettes …
DV, 17 Min., 2009, Konzept und Recherche: Madeleine Bernstorff, Schnitt: Angelika Levi

Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Bewegung für das Frauenwahlrecht, die Suffragettenbewegung, Filmthema. Auf den Straßen der europäischen und US-amerikanischen Städte war nun etwas aufgetaucht, das so gar nicht mehr zähmbar schien und große Ängste provozierte: Da organisierten sich die Frauen, noch dazu oft die Wohlbehüteten des Bürgertums, und forderten tatsächlich Beteiligung an demokratischen Prozessen! 1913 waren in England schon mehr als tausend Suffragetten für ihre politischen Kämpfe ins Gefängnis gekommen.

Neben Karikaturen in den Printmedien wurden Wochenschauen und Melodramen produziert, sowie unzählige Komödien, die sich − in ihrer Ambivalenz von Subversion und Affirmation −, auf die Bewegung bezogen. Sie erzählten dem Publikum, dass Frauen ins Haus gehörten und nicht an die Wahlurne, dass diese wild gewordenen Furien, die nun plötzlich massenhaft auf den Straßen auftauchten, vermännlichten und ihre Familien vernachlässigten und noch dazu öffentliche Gebäude anzündeten. In den (Anti-)Suffragetten-Filmen sind die Frauenrechtlerinnen oft Fehlgeleitete, die wieder auf den richtigen Weg gebracht werden müssen – mit Spielraum für komplizenhafte Schaulust auf allen Seiten. Auch Männer verkleiden sich als Suffragetten: um das Unangemessene und Groteske der weiblichen Rollenüberschreitung zu illustrieren oder um noch wilder gegen die herrschende Ordnung zu agieren?

Das Video Der Fanatismus der Suffragettes … ist eine Kompilation einiger früher Filme zwischen 1906 und 1913, in denen die Bewegung für das Frauenwahlrecht, die Suffragettenbewegung dokumentiert und gelegentlich ironisiert wird. Hier zeigt sich, wie die frühe Filmindustrie mit dieser nicht mehr vernachlässigbaren politischen Bewegung umging. In einer Berliner Filmzeitschrift aus dem Jahr 1912 steht etwa: „Der Fanatismus der Suffragettes hat schon wieder eine neue Kampfmethode erdacht, um dem tief gehassten männlichen Geschlecht, vor allem aber der ihre Bestrebungen hemmenden Staatsregierung zuleibe zu gehen. Bei allen künftigen Veranstaltungen und Aufzügen der Suffragettes werden sie sich von weiblichen Kinooperateuren begleiten lassen, um sofort alle ‚Übergriffe‘ der Polizei kinematographisch aufnehmen zu können.“ Diese Aufnahmen der „weiblichen Kinooperateure“, der aktivistischen Kamerafrauen gibt es natürlich nicht (mehr), aber es gibt unzählige Filme, die das Spektakel der vehementen Frauenrechtlerinnen aufgreifen. Wie ein Trailer für eine reale oder imaginäre Filmvorführung zeigt Der Fanatismus der Suffragettes … einige Ausschnitte aus diesen (Anti-)Suffragettenfilmen und thematisiert damit Aspekte einer Bildpolitik des frühen Kinos, die Verschränkung von Fiction- und Nonfiction-Filmen, genauso wie die damalige rigorose Zensur. Die aufmerksamkeitsökonomischen Strategien und Kämpfe der Suffragetten um den öffentlichen Raum und dessen symbolische Aneignung, die Straße als Tribüne und Verhandlungsraum werden sichtbar in ihrer Spannung zu antifeministischen Stereotypen, die gelegentlich gar nicht so vergangen wirken. Die über den Zeitraum von etwa zehn Jahren gesammelten Materialien werfen in ihrer unterschiedlichen Qualität auch ein Licht auf die Zugänglichkeit in Archiven. (Text: Madeleine Bernstorff)

Madeleine Bernstorff
Die Suffragettes, die der Kongress zurückgewiesen hat, versuchen vergebens, an der Eroberung des Nordpols teilzunehmen
Holz, Leuchtdioden, transparentes Filmstill 20 x 26 cm, 4:3, 2010. Foto: Gerhard Ullmann aus der viragierten/eingefärbten 35 mm-Kopie des Filmmuseums München, © Filmmuseum München

Eine Lichtbox mit dem Fotogramm eines Zwischentitels aus dem Film À la conquête du pole (Die Entdeckung des Nordpols) von Georges Méliès, Frankreich 1912, in dem die Suffragetten versuchen, ebenfalls an der Expedition teilzunehmen. Ein vergeblicher Versuch gesellschaftlicher Teilhabe wird thematisiert.

Auf der Titelseite der englischen Zeitschrift The Suffragist vom Oktober 1909 sieht man eine Frau im Fellmantel, die − mit Suffragettenschärpe und Hammer ausgerüstet − eine „Votes-for-Women“-Flagge im Eis aufstellt. Die Zeichnung funktioniert über das Wortspiel pole/Pol und polls/Wahlurne: „Women will soon reach the polls“. Die wiederentdeckte und restaurierte Kopie mit den Suffragettenszenen wurde 2001 im Bonner Sommerkino gezeigt.

Die Lichtbox verweist auf die Transparenz des Filmbildes in der klassischen Kinoprojektion. (Text: Madeleine Bernstorff)

Madeleine Bernstorff
Fahndungsfotos von und Polizeiakten über Suffragetten
Holzrahmen, 107 x 136 cm, Stoff, Farbfotokopien, 2010

Ein Holzrahmen mit fotografierten Akten aus den National Archives in London, Kew Gardens. Zum Teil mit versteckter Kamera und Teleobjektiv wurden Fahndungsfotos von den radikalisierten Suffragetten aufgenommen, um die „flashmobartig“ auftauchenden Frauenrechtlerinnen identifizieren zu können. Die Fotos fanden sich in einer Akte der Kunstsammlung „Wallace-Collection“, die sich mit den Fotos auf etwaige Angriffe der Suffragetten vorbereiten wollte. An verschiedensten Orten hatten die Suffragetten auch zum Mittel des Bildersturms gegriffen und Kunstwerke in Ausstellungen zerstört. In den Polizeiakten wird gefordert, alle Frauenrechtlerinnen zu fotografieren, falls sie sich wehren würden, notfalls auch heimlich. Die Polizei beschäftigte hierfür auch Porträtfotografen, wovon die Akte mit Codeworten erzählt. Gelegentlich wurde auch ein Polizistenarm wegretuschiert, der die Angeklagte zum Fotografiert-Werden gezwungen hatte. (Text: Madeleine Bernstorff)

Ana Hoffner
Transitional Europe
DV, Ton, 22 Min., 2010
Dokumentation der Uraufführung der Lectureperformance vom 19.01.2010 im Künstlerhaus Büchsenhausen

Der Serbe als Gegenstand europäischer Betrachtung ist grausam, gewalttätig und unzivilisiert, er wird mit einer brutalen Sexualität assoziiert und als Vergewaltiger gekennzeichnet, außerdem als Alleinverantwortlicher für Kriegsverbrechen der 1990er-Jahre herangezogen. Zu der langen Liste an serbischen Verbrechen tritt in der Gegenwart der homophobe Übergriff. Er wird seit der Beograd Pride 2001 dazu benutzt, um die ganze Gesellschaft als undemokratisch, unterentwickelt und nicht EU-reif zu markieren. Während der serbische Homophobe als unrettbar stigmatisiert wird, sollen serbische Queers hingegen in die europäische Familie aufgenommen werden. Die Aufspaltung der Bevölkerung in Opfer und Täter dient als Basis für legitimierte Eingriffe durch EUropa in politischer, sozialer und vor allem wirtschaftlicher Hinsicht. Die Lectureperformance untersucht, wie anhand von Homonormativität und Queersein, die als sexuelle Ausnahmezustände eingesetzt werden, ein europäischer Einheitsraum konstruiert wird, der grenzenlose Ausbeutung osteuropäischer Regionen für die Zukunft sicherstellt. (Text: Ana Hoffner)

Ana Hoffner
I’m Too Sad To Tell You, Bosnian Girl
DV, Ton, 20 Min., 2010
Dokumentation der Uraufführung der Lectureperformance am 18.05.2010 im Künstlerhaus Büchsenhausen

Die Lectureperformance untersucht die Praxis der Selbstreflexion, die, verbunden mit einer Praxis der Selbstinszenierung, eine Bedingung der gegenwärtigen Subjektkonstituierung darstellt. Der Raum der Selbstreflexion wird betrachtet als ein Raum, der sich binären Aufteilungen entzieht, der eine Grenzziehung zwischen Subjekt und Objekt verweigert und Positionen des Regisseurs und Darstellers zusammenfallen lässt. Die Zeit der Selbstreflexion wird aufgefasst als eine Zeit der ewigen Gegenwart, die eine obsessive Wiederholung derselben performativen Akte vorsieht, in denen das Subjekt in eine Ekstase, in einen Exzess der Präsenz verfallen kann. Das dadurch aufgespannte Konzept von Raum und Zeit folgt einem Modell von Zivilisation, das Sicherheit und Kontrolle unter gleichberechtigten Bürgern herstellen soll, aber gleichzeitig die Herstellung von Grausamkeit und Gewalt fördert. Die Voraussetzung der erfolgreichen Selbstinszenierung ist ihr Scheitern an dem Punkt, an dem jedes Menschsein definiert wird: Es ist der Nicht-Mensch, der dafür zuständig gemacht wird, das zivilisatorische Raum-Zeit-Modell in eine Zone der Barbarei, der Unterentwicklung und der unkontrollierten Affekte zu verwandeln, und zu jeder Zeit in seiner eigenen rückschrittlichen Vergangenheit gefangen gehalten werden soll. (Text: Ana Hoffner)

Brigitta Kuster
À travers l’encoche d’un voyage dans la bibliothèque coloniale. Notes pittoresques
DV, 25 Min., Loop, 2009

Der Film unternimmt eine Reise durch die koloniale Bibliothek, wobei damit nicht bloß Archive und Dokumente gemeint sind, sondern Vorstellungslandschaften und erkenntnistheoretische Rahmungen. Zielrichtung dieser Reise ohne Ankunft ist es, durch den kolonial gekerbten Raum hindurchzustoßen. Im Zentrum stehen dabei das Motiv der Parklandschaft, eine Bezeichnung, die die Kolonialisten jenen Kulturlandschaften und Vegetationen gegeben haben, die heute als Savanne gelten; das einzige Ölgemälde des deutschen Kolonialmalers Rudolf Hellgrewe, welches eine Szene aus dem Berliner Arbeiter:innenleben um 1900 zeigt: ein trauriges Paar beim Abendspaziergang im Viktoriapark am Kreuzberg vor der Kulisse der düsteren, modernen Industriestadt; und die erste schriftliche Quelle über die Balamba: der Expeditionsbericht von Curt von Morgen, 1893 in Buchform mit Illustrationen von Rudolf Hellgrewe, der Kamerun selbst niemals bereist hat, erschienen, erzählt eine Geschichte über den Chef Bisselé. Sie evoziert die mythische Szene eines ersten Kontaktes mit den Weißen. (Text: Brigitta Kuster)

Brigitta Kuster
Entkolonisierung
HDV, 5:26 Min., Loop, 2010

Die Arbeit ist eine Art Bestandsaufnahme eines halben Jahrhunderts Entkolonialisierung im deutschsprachigen Raum mittels eines Bibliothekszettelkataloges. Auf drei Videokanälen wird dieser zum nachträglich eingefügten Stichwort „Entkolonisierung“ als Folge von Stills „geblättert“. Auf der Tonspur ein Ausschnitt aus Alain Robbe-Grillets nouveau roman La Jalousie, der explizit gegen das Narrativ, die Tiefe, das Engagement, den Humanismus und die Tragik anschreibt.

In diesem Textstück, in dem die Bananenplantagen rund um ein Anwesen irgendwo in einer Kolonie in den Blick genommen werden, gibt es kein eigentliches Agens, sondern bloß Ding-Konstellationen, deren akribische Registrierungen die Form des Romans in eine Art Inventarisierungsprozess verwandeln: „Uneingedenk der Ordnung, in der die sichtbaren und die gekappten Bananenstauden stehen, ergeben sich für die sechste Reihe folgende Zahlen: zweiundzwanzig, einundzwanzig, zwanzig, neunzehn.“ (aus Alain Robbe-Grillet, La Jalousie, 1957) (Text: Brigitta Kuster)

Mona Vătămanu & Florin Tudor
Il Mondo Nuovo
DV, 16 Min., Loop, 2004

Der Titel sowie der formale Aufbau der Videoarbeit Il Mondo Nuovo sind dem gleichnamigen Fresko des italienischen Malers Giandomenico Tiepolo entlehnt, das 1791 entstand und sich im venezianischen Museum Ca’ Rezzonico befindet. „Mondo Nuovo“ war eine Jahrmarktattraktion, ein Vorläufer der „Laterna Magica“. Im ausgehenden 18. Jahrhundert war es üblich, darin dem schaulustigen Publikum Bilder aus der „Neuen Welt“, von Entdeckungsreisen, von Eingeborenen und Kannibalen, aber auch von unbekannten Pflanzen und (Raub-)Tieren, Paradiesvögeln, Orchideen etc. zu zeigen.

Das Video zeigt eine Gruppe von sich beiläufig in einem fortlaufenden Gespräch befindlichen Menschen, die am Rande einer Baustellengrube erwartungsvoll darauf und darüber hinaus blicken. Es geschieht jedoch nichts. Die Kamera fängt den entscheidenden Erfahrungsmoment potenzieller Erwartungen und Hoffnungen im Angesicht dessen, was vor einem neu entstehen wird, ein.

Mona Vătămanu & Florin Tudor
Întâlnire cu istoria (Treffen mit der Geschichte): Demonstratie la Basel, Demonstratie la Rostock, Rosa Luxemburg
Öl auf Leinwand, je 40 x 50 cm, 2009

Die kleinformatigen Gemälde zeigen demonstrierende Massen. In einem Stil, der formal an eine gewisse Richtung sozialistischer Malerei angelehnt ist, werden darauf Momente öffentlichen Protests dargestellt. Vătămanu und Tudor stellen historische Sujets und Darstellungen zeitgenössischer Anti- Globalisierungsdemos, erkennbar an den schwarz-roten Fahnen, nebeneinander – ein Akt der Vergegenwärtigung der Relativität soziopolitischer Verhältnisse in unserer postsozialistischen Gesellschaft. (Text: Andrei Siclodi)

Die Ausstellungsteilnahme von Mona Vătămanu & Florin Tudor wurde vom Rumänischen Kulturinstitut unterstützt.

Ina Wudtke
herspace
DV, 10 Min., 2008

Das Video herspace von Ina Wudtke widmet sich in einem Rollenspiel kritisch den Arbeitsbedingungen weiblicher DJs. Die Künstlerin spielt die vier weiblichen DJ-Charaktere selbst. Der Text wurde aus Interviews mit internationalen weiblichen Break-Beat-DJs generiert. DJ-spezifische Mixtechniken wurden dabei auf die Videoschnitttechnik übertragen. Das Video spricht über selbstständige Akteurinnen auf dem freien Markt, gleichzeitig fungieren diese DJs als Blaupause für diverse Berufe. Breakbeat als Musik mit ursprünglich afrikanischen Wurzeln wird hier zur Sprache einer ganzen Generation von Frauen aus Europa. Die Sprache des Filmes ist ein durchwegs lokal gefärbtes Englisch aus den jeweiligen Heimatländern der Frauen und bildet somit das „neue Europa“ als orale Geschichte ab. (Text: Ina Wudtke)

Ina Wudtke
ask yo mama
5 Zeichnungen, A4, Filzstift auf Papier, 2010

Die Serie von Zeichnungen entstand unter anderem in Innsbruck während des Stipendienaufenthalts von Ina Wudtke im Künstlerhaus Büchsenhausen. Sie zeigt die imaginären Mütter von Ina Wudtke, große Musikerinnen aus vergangenen Zeiten und bis zur Gegenwart: Bessie Smith, Gladys Bentley, Mary Lou Williams, Aretha Franklin und Missy Elliott. Wudtkes Auswahl bezeichnet neue Ikonen eines neuen Europa, die eng verwoben sind mit der Geschichte der Alliierten, die im Nachkriegseuropa das Kulturgeschehen stark prägten. Ask yo mama ist dabei ein doppeltes Spiel: Neben dem Verweis auf die Mütter der heutigen Musik wird hier auf das Wortspiel „dirty dozens“ angespielt, das vor allem mit witzigen Verunglimpfungen der Mutter des Gegners den Anfang von Rapmusik mitbegründet hat. (Text: Ina Wudtke)

Inga Zimprich/The Faculty of Invisibility

Aufgrund eines unlösbaren Konflikts mit einer Mitstipendiatin beschloss Inga Zimprich, sich kurzfristig aus der Ausstellung Verhandlungssache zurückzuziehen.

Madeleine BERNSTORFF (*1956) ist Filmkuratorin, Autorin, Super8-Filmerin, Dozentin und lebt in Berlin. In ihren Arbeiten beschäftigt sie sich u. a. mit der filmischen Darstellung der Suffragetten. Madeleine Bernstorff ist Mitbegründerin von Kino Sputnik in Berlin-Wedding.

www.madeleinebernstorff.de

Ana HOFFNER (*1980 in Jugoslawien) ist Künstler_in, Kulturwissenschaftler_in, Performer_in und Mentor_in, lebt in Wien. Hoffner studierte an der Akademie der bildenden Künste Wien und arbeitet in den Bereichen queerer und migrantischer/postkolonialer Politik. Ihre Projekte umfassen Ausstellungen, Performances, Lectures und Publikationen im In- und Ausland.
www.anahoffner.com

Brigitta KUSTER lebt als Künstlerin, Video-/Filmemacherin und Autorin in Berlin. Ihre Arbeit fokussiert auf Themen wie die Repräsentation von Arbeit, Gender und sexueller Identität, (städtischen) Raum, Migration, Transnationalität und (Post-)Kolonialismus.

Mona Vătămanu (*1968) und Florin Tudor (*1974) arbeiten seit 2000 zusammen. Zahlreiche internationale Ausstellungen seit 2004, solo unter anderem im Frankfurter Kunstverein (2013), der Wiener Secession (2009), BAK Utrecht (2009). TeilnehmerInnen u. a. an der 5. Berlin Biennale (2008) und der Biennale von Venedig (Rumänischer Pavillon, 2007). Vătămanu & Tudor leben und arbeiten in Bukarest.
www.monavatamanuflorintudor.ro

Ina WUDTKE (*1968) ist Künstlerin und DJane und lebt in Berlin. Ihre Arbeit versteht sie als visuelle, interkulturelle und interdisziplinäre Recherche. In ihren Installationen verwendet sie Techniken wie Mixing, Serialität und Re-Repräsentation, die im Kontext der Geschichte von „black culture“ und „new feminism“ als Wege zur Rückaneignung und Wiederermächtigung entwickelt wurden. Sie kuratierte in diesem Kontext auch verschiedene internationale Ausstellungen.
www.inawudtke.com

Inga ZIMPRICH (*1979) lebt als Künstlerin und Kuratorin in Berlin. In den zumeist gemeinschaftlichen Arbeiten, an denen sie mitwirkt, steht das Sprachsystem der zeitgenössischen Kunstinstitution im Vordergrund. Seit 2006 erarbeitet sie kontinuierlich verschiedene kuratorische und künstlerische Produktionen in der Ukraine. Inga Zimprich arbeitet unter anderem intensiv mit Sönke Hallmann (Theorie) und Paul Gangloff (Design) zusammen.
www.ingazimprich.net
www.un.ingazimprich.net

Veranstaltungsort

Kunstpavillon
Rennweg 8a
A-6020 Innsbruck

+43 512 58 11 33
office@kuveti.at