Michael Baers
The Past is an Arrow into the Future
The Past is an Arrow into the Future will Wetter und Geschichte sowohl in der Regelmäßigkeit ihrer Wiederholung als auch hinsichtlich ihres stochastischen Vorkommens zur Unzeit untersuchen. Als mehrkanalige Klanginstallation (mit visuellen Elementen) erdacht, könnte diese Arbeit auch für Radio/Podcast oder für eine Live Performance verwendet werden. Mitten in der Zwischenkriegszeit, vom Beginn der Großen Depression bis zur Wahl der Nationalsozialistischen Partei in Deutschland angesiedelt, verwebt sie individuelle, detailreiche Narrative aus den Leben von Politiker_innen, Persönlichkeiten des kulturellen Lebens sowie einfacher Menschen jener Zeit miteinander. Dazwischen sollen sich zeitgenössische Beschreibungen von Wetterbedingungen und -ereignissen einflechten, die die Erzählung nicht nur von einer geografischen Örtlichkeit zur nächsten bewegen, sondern auch auf Kausalität als komplexes, bis in seine lokalsten Manifestationen hineinreichendes Phänomen anspielen.
Obwohl dieses Vorhaben im Wesentlichen eine geschichtliche Untersuchung darstellt, befasst es sich auf einer theoretischen Ebene nicht nur mit einer fundamentalen Problematik der Zeitgeschichtsschreibung, sondern auch der Sozial- und Naturwissenschaften. Menschen, so sagte Gregory Bateson, seien genetisch darauf programmiert, in ihrem Umfeld nach Mustern zu suchen. Dies gelte auch für Historiker_innen, Wirtschaftswissenschaftler_innen, politische Wissenschaftler_innen etc., die häufig auf historische Analogien zurückgreifen und dabei systemische Beständigkeit und zyklische Wiederholung zitieren, um aktuelle Ereignisse zu erklären. So erzielte der Versuch, eine Analogie zwischen dem gegenwärtigen historischen Moment und der Vergangenheit herzustellen – insbesondere hinsichtlich des Aufstiegs des Faschismus in Europa in den späten 1920er Jahren, als ein Zusammenwirken historischer Abneigung und wirtschaftlichen Umbruchs die Bedingungen für die Verdrängung demokratischer Regierungsformen schuf – eine bemerkenswerte Wirkung bei den aktuellen Bemühungen, mit dem Wiederaufkommen von Regierungen, politischen Parteien und populistischen Bewegungen umzugehen, die deutliche anti-demokratische, faschistische Tendenzen aufweisen.
Die Arbeit von Klimawissenschaftler_innen bietet die Möglichkeit eines Korrektivs zu dieser übermäßigen Abhängigkeit von der Analogie. Indem sie unterschiedliche Folgen der globalen Erwärmung modellieren, obliegt Klimawissenschaftler_innen einerseits die Vorhersage künftiger Veränderungen von Wettermustern sowie des Härtegrades künftiger, auf anthropozentrischen Transformationen der Erdatmosphäre basierender Wetterereignisse. Andererseits müssen sie nach historischen Aufzeichnungen für Mittelwerte und Instrumente suchen, um Nachweise zu erbringen, dass die Manifestationen globaler Erwärmung heutzutage eher systemischer und nicht primär anomaler Natur sind. Und doch ist das Wetter selbst ein inhärent instabiles Phänomen: die Umweltwissenschaftler_innen in den frühen 1970er Jahren, die nach empirischen Nachweisen für das theoretische Modell des Ökosystems als reguläres, geordnetes Set von Bedingungen suchten, entdeckten stattdessen einen offenkundigen Mangel an Regelmäßigkeit in der natürlichen Welt – nämlich den Zustand eines totalen Wandels.
Diese beiden Kräfte, stochastische Komplexität und unveränderliche Regelmäßigkeit, sind die beiden Pole, zwischen denen unser Verständnis der zeitgenössischen Weltsituation oszilliert. Die konzeptuellen und narrativen Herausforderungen, die meine Arbeit darlegt, bestehen darin, jeden Pol in seine narrative Struktur einzubinden.
Text: Michael Baers
Michael BAERS erhielt 2014 seinen PhD in Practice von der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Er hat seine Arbeit international in vielen bedeutenden Kunstinstitutionen ausgestellt, unter anderem im Museum für Angewandte Kunst Frankfurt am Main, dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin, und dem Van Abbemuseum in Amsterdam. Seit 2010 war seine Arbeit auf die kulturellen Ergebnisse der fehlenden Konfliktlösung im Nahen Osten und in Nordafrika fokussiert. Seit 2013 hat er im Rahmen eines einzigartigen fotografischen Projekts mit dem Titel Necessità dei Volti geforscht, das aus dem Krieg zwischen den Völkern der Westsahara und Marokkos hervorgegangen ist. Dazu gehörten auch Recherchen auf dem Feld der Medientheorie und der Visual Studies in Verbindung mit der Geschichte des westlichen Nordafrika. Zuvor erforschte Baers Kulturpolitiken in Israel und Palästina, woraus 2014 in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin die Online-Publikation An Oral History of Picasso in Palestine entstand. Außerdem gestaltete er Comics und Texte über zeitgenössische Kunst und künstlerische Forschung, Kulturpolitik und Urbanismus und veröffentlichte Beiträge in internationalen Magazinen wie A-Prior, e-flux journal und Vector – critical research in context.