Auto/Pathographies – (Selbst-)Darstellung des Krankseins in der zeitgenössischen Kunst

Teilnehmende KünstlerInnen: Carl Bouchard, Pascal Dufaux, Chantal DuPont, Angela Ellsworth & Tina Takemoto, Christina Lammer, Susan Markisz, Pam Patterson, Jo Spence, Jo Spence & Terry Dennett

Anhand der Medien Fotografie, Performance und Video widmete sich die Gruppenausstellung Auto/Pathographies Fragen der Identität und (Selbst-)Darstellung im Angesicht der Krankheit. Die Ausstellung, die Werke von KünstlerInnen aus Kanada, den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Österreich aus den beiden vergangenen Jahrzehnten versammelte, bot sowohl einfühlsame als auch kritische Einblicke in die Art und Weise, wie Krankheit persönliche Lebenswege und zwischenmenschliche Beziehungen neu definiert.

Obwohl autopathographischen Themen in den visuellen und darstellenden Künsten der letzten 25 Jahre zunehmend Aufmerksamkeit zuteil wird, haben sich nur wenige Ausstellungen direkt mit diesem virulenten Thema beschäftigt. Auto/Pathographies war die erste internationale Gruppenausstellung, die individuelle und kollaborative Darstellungen physischer Krankheit aus verschiedensten Disziplinen spezifisch unter die Lupe nahm. Die ausgewählten Werke wurden darüber hinaus zum ersten Mal in Österreich ausgestellt.

Unter diesen waren auch einige seltene Bilder aus dem Jo Spence Memorial Archive. Spence war nicht nur eine große Retrospektive im Jahr 2005/06 gewidmet, ihre autopathographische Serie The Picture of Health? wurde zudem auf der documenta 12 (2007) präsentiert. Auto/Pathographies schloss ihre letzten fotografischen Untersuchungen zum Thema Sterblichkeit aus der Serie The Final Project mit ein, die zuvor nur in Finnland und Großbritannien zu sehen gewesen waren.

Darin und in allen anderen in der Ausstellung präsentierten Werken wurde die Krankheit zu einem Ort der aktiven ästhetischen, politischen und sogar metaphysischen Auseinandersetzung – einer Auseinandersetzung, deren Implikationen schlussendlich weit über die individuelle persönliche Erzählung hinausweisen.

Während die meisten der in der Ausstellung gezeigten Werke aus einer autobiographischen Perspektive (Autopathographie) entstanden, waren einige von ihnen das Resultat enger Kollaborationen zwischen gesunden und kranken ProtagonistInnen (relationelle Pathographie). Im Gegensatz dazu vermittelte die Video-Installation Empathographien von Christina Lammer die Sichtweisen von MedizinerInnen auf PatientInnen, wodurch die auto/biografischen Darstellungen von Krankheit in der Ausstellung in einen größeren biopolitischen Zusammenhang gestellt wurden. Obwohl dies nicht das Hauptanliegen der Werke von Auto/Pathographies war, musste aus der Sicht der Kuratorin klar gemacht werden, dass das Gesundheitswesen – und die PatientInnen zugeschriebenen „kranken Rollen“ – einen entscheidenden Einfluss auf die Art und Weise haben, wie Individuen Krankheit erfahren.

In den meisten der präsentierten Werke lag das Augenmerk auf dem Subjekt in Umwandlung. Intime Einsichten in das sich verändernde Subjekt zeigten die Grenzen jedes Versuchs auf, Pathos angemessen zu kommunizieren. Die von Angela Ellsworth und Tina Takemoto gemeinsam geschaffenen Werke bezeugen gerade solche Fehlschläge der Abbildung und darüber hinaus die Grenzen der möglichen Empathie zwischen gesunden und kranken Personen oder generell zwischen zwei Personen – eine Begrenzung, die auch die BesucherInnen dieser Ausstellung in ihrer Wahrnehmung von Auto/Pathographien möglicherweise verspürten.

Ein Eingeständnis der partiellen, indirekten oder unvollständigen Gestaltung von Pathos war vielen der hier gezeigten Werke gemein und stellte in manchen Fällen sogar den Ausgangspunkt der Untersuchung dar. Carl Bouchards Video Mille excuses (So Sorry/Es tut mir leid) kommuniziert Bedauern anhand verbaler Anspielungen auf einen traumatischen Vorfall während einer Operation am Anus. Da der Künstler diese Vorgänge nicht aufnehmen oder auf sie reagieren konnte, während sie stattfanden, konnte er sein vergangenes Trauma nur indirekt angehen durch den umgekehrten Spiegel weniger lang zurückliegender Zahnbehandlungen, die er mithilfe einer Videokamera dokumentierte.

Die Grenzen der Darstellung – und besonders der Selbstdarstellung – wurden besonders offensichtlich in künstlerischen Evokationen der eigenen Sterblichkeit. Für The Final Project ließ sich Jo Spence von mexikanischen und ägyptischen Kulturen dazu inspirieren, fotografische Abbildungen des Todes anzufertigen, die zeitgenössische Variationen von Motiven wie Vanitas und Memento Mori darstellen. Mit Terry Dennett gemeinsam nahm sich Spence auch einige ihrer älteren Selbstporträts wieder vor und fügte Schichten des Verfalls hinzu, um das Verfließen von Zeit in ihre früheren Selbstbilder einzuschreiben. Indem sie diese unmögliche visuelle Autothanatographie durchführte, versuchte sich Spence wohl an einer ars moriendi durch das Medium der Fotografie. Anstatt jedoch streng auf ein morbides Ende hinzuweisen, suggerieren Spences Darstellungen des Todes, trotz des Ablebens des Subjekts, auch die Möglichkeit fortgesetzter Verwandlung.

Die Hoffnung, die in diesen Bildern durch verschiedene Vorgänge der Regeneration vermittelt wird, war ein weiterer Bestandteil der Auseinandersetzung in der Ausstellung mit dem Subjekt in Wandlung. In Chantal duPonts Video-Tagebuch Headstrong gibt der Haarausfall im Zuge einer Krebsbehandlung der Künstlerin die Gelegenheit zur Maskerade und dazu, Kindheitserinnerungen wiederaufleben zu lassen, bis ihr Haar wieder nachgewachsen ist. Pam Pattersons Lost Objects und Canto I: Travelling bilden ebenso transformative Vorgänge ab, obwohl hier Regeneration weniger durch den Inhalt der Bilder vermittelt wird als durch die Geste ihrer Herstellung.

Anstatt an der Abbildung zu scheitern, weisen die erwähnten Kunstwerke vielmehr darauf hin, dass das Bild Vorgänge bezeugt, die per definitionem über es hinausweisen. In diesem Sinne rückt Susan Markisz mit ihrem Selbstporträt The Road Back die Unentschiedenheit der Krankheit in den Vordergrund. Im Gegensatz zu den militaristischen Bildern, die viele gängige Metaphern der Krankheit durchsetzen und ihre möglichen Ausgänge irreführend als „Sieg“ oder „Niederlage“ entwerfen, präsentiert Markisz weder eine feierliche Umarmung noch einen widerspenstigen Rückzug. Stattdessen kommuniziert sie ein prozessuales Dazwischen, das in keinem der Extreme aufgelöst werden kann.

Ein überzeugender Gegenvorschlag zur angenommenen Begrenzung von zwischenmenschlicher Empathie wird von Pascal Dufaux in Alzheimer_Buste präsentiert, einem vielteiligen Porträt seines Onkels. Obwohl die Fähigkeit, das Pathos einer anderen Person wahrzunehmen, schlussendlich im „Auge des Betrachters“ liegt, gibt es keine absolute Begrenzung dafür, wie lange und wie aufmerksam der Akt des empathischen Sehens ist. In Dufaux’ fotografischem Prozess wird die Oberfläche des Körpers des Modells über drei Stunden in hunderten digitalen Aufnahmen aus 360 Grad kartografiert und dokumentiert. Die resultierende vielteilige Abbildung verlangt nach einem mühsamen Vorgang der Wiederzusammensetzung, lange nachdem das Modell das Studio verlassen hat. Genaues Augenmerk auf die Fragment-Bilder des Modells bestimmt die Eigenschaften des so entstehenden Porträts. Dufaux’ hyperpanoptisches Porträt, in „Komplizenschaft“ mit seinem Onkel entstanden, kann als eine relationale Nachstellung von Empathie verstanden werden.
Tamar Tembeck

Veranstaltungsort

Künstler:innenhaus Büchsenhausen
Weiherburggasse 13
A-6020 Innsbruck

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