Caminata Nocturna

Karl Ingar Røys’ Caminata Nocturna dokumentiert die Flucht und Verfolgung illegaler Wirtschaftsmigranten an der Grenze zwischen Mexiko und den USA; zumindest scheint es auf den ersten Blick so. Tatsächlich jedoch wird in dem Video eine Nachstellung solcher Geschehnisse gezeigt, nämlich eine Show für TouristInnen, in Szene gesetzt von den Einwohnern der 2.000 km von der Grenze entfernt liegenden Stadt Alberto. Diese Variante eines Abenteuerurlaubs ermöglicht es den – hauptsächlich mexikanischen – TouristInnen, einen illegalen Grenzübertritt in die USA sozusagen live zu erleben und zu genießen, denn schließlich geht es im Tourismus immer darum, Glücksmomente zu schaffen. Diese Simulation der Hoffnungen und Ängste von MigrantInnen wurde erstmals im Juli 2004 in Alberto inszeniert und ist Teil des Programms des Parque EcoAlberto, eines mithilfe des mexikanischen Staates finanzierten „Öko-Ferienparks“.

Indem er die ZuschauerInnen zwischen den zwei Bildschirmen platziert und die Schwierigkeit der Darstellung einer Facette der kapitalistischen Wirtschaft – wie der illegalen Migration – aktiv aufgreift, stellt Røys sicher, dass diese Frage im Mittelpunkt seines Werks steht. In Caminata Nocturna geht es jedoch nicht nur um eine simple Wiedergabe. Das Video präsentiert die Touristenwanderung als quasi real und lässt erst gegen Ende Zweifel an der Echtheit der dargestellten Verfolgungsjagd und Gefangennahme aufkommen. Auf diese Weise zerschneidet Røys die Finsternis, die aus Wirtschaftsmigration und staatlicher Kontrolle entsteht, und konstruiert daraus eine fiktionale Topografie. In dieser Hinsicht funktioniert Caminata Nocturna wie eine Landkarte oder grafische Darstellung, die, wenn man sie zusammenfaltet, eine Collage aus der kapitalistischen Bilderwelt einerseits und essenziellen, sehr realen Fragen politischer Souveränität, wirtschaftlicher Ausbeutung und Subjektivität andererseits ergibt. In diesem Video geht es ebenso sehr um den Leidensweg von WirtschaftsmigrantInnen im globalen Kapitalismus – Arbeitskräfte, die gezwungenermaßen den Flüssen des Kapitals folgen und dabei schwere Strafen in Kauf nehmen – wie um die Vortäuschung der erlebten Nachstellungen und Bilder, die in Caminata Nocturna inszeniert werden.

John Cunningham
Deutsche Übersetzung: Astrid Tautscher

Karl Ingar RØYS wurde in Volda, Norwegen, geboren, lebt in Berlin, Oslo und London. Seine künstlerische Strategie basiert auf seiner kritischen Forschung zu Abbildern, Film und Symbolen als subjektiv kontrollierten Instrumenten der Übertrag- und Übersetzbarkeit. Hierzu reorganisiert er kontextuelle und narrative Strukturen, um die zugrunde liegenden Mittel der Bedeutung zu untersuchen. Dabei setzt er den Schwerpunkt auf die Dekonstruktion und Konstruktion von Bedeutung in einem vorgegebenen oder institutionalisierten Kontext. In diesem untersucht er die Zusammenhänge zwischen Politik, Ökonomie und Kunst.
karlingarroys.blogspot.com

Veranstaltungsort

Künstler:innenhaus Büchsenhausen
Weiherburggasse 13
A-6020 Innsbruck

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