Collectivity Matters

J. K. Bergstrand-Doley, Dominique Hurth, Marcel und Anna (Mac), David Rych

kuratiert von Andrei Siclodi
Ausstellung, Kunstpavillon, 14.06. – 27.07.2013

Die Ausstellung Collectivity Matters beschäftigte sich mit dem Potenzial kollektiver Praktiken in der Kunst im Hinblick auf deren Erscheinung als Indikatoren gesellschaftlicher Umstände.

Kollektive in der Kunst sind oft Imaginationen im Dienste einer künstlerischen Idee, die unter Umständen realpolitische Verhältnisse reflektieren. Hinter der Etikette „Kollektiv“ steckt oft eine dialektische Form der Sichtbarmachung des eigenen Handelns – indem man als „Kollektiv“ oder als pseudo-korporatistisches Gebilde auftritt, sichert man sich gleichermaßen Sichtbarkeit und „Kritikalitäts“-Glaubwürdigkeit im Kunstbetrieb. Hat dies jedoch tatsächlich mit kritischer Praxis zu tun?

Was kann kollektives Handeln im Kunstkontext bedeuten, wenn man, wie die Kunstwissenschaftlerin Pamela M. Lee, davon ausgeht, dass wir in der Epoche des „Consumer Sovereign“ leben, dessen Handeln primär im Auswählen aus einem gegebenen (und von ihm angeblich bestimmten) Angebot besteht? In einer Epoche, in der dieses Auswählen mit „Freiheit“ gleichgesetzt wird und damit mit dem freien Markt, der wiederum als Bestätigung der Illusion eines freien menschlichen Handelns fungiert?

Die Frage nach Kollektivität in der Kunst ist schließlich entscheidend mit der Frage nach den Organisationsformen der Produktion und Vermittlung der Kunst verbunden. Welche AutorInnenschaften werden hier von wem in welchem Ausmaß beansprucht? Wie wirken die übrigen Beteiligten – KuratorInnen, TechnikerInnen, VermittlerInnen – im künstlerischen Produktionsprozess und darüber hinaus an der Instituierung des Paradigmas kollektiver künstlerischer Praxis mit?

Die Ausstellung Collectivity Matters riss diese Fragen auf unorthodoxe und (möglicherweise) widersprüchliche Weise an; gleichzeitig thematisierte sie aktuelle Formen des Ausstellens. Sie war Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Projekten, künstlerischen Vorstellungen und Arbeitsweisen der TeilnehmerInnen am Internationalen Fellowship-Programm für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen 2012–13. Ihre künstlerischen Ansätze, Untersuchungsgebiete und Themen bildeten den Ausgangspunkt. Die Praxis von Marcel Hiller und der von ihm initiierten Magicgruppe Kulturobjekt, Kevin Dooleys Interesse an Arbeit in selbst organisierten Zusammenhängen, David Rychs projektorientierte Kunstproduktion, die in vielen Fällen die Mitwirkung zahlreicher AkteurInnen impliziert, aber auch Dominique Hurths Insistieren auf den Stellenwert der individuellen künstlerischen Position waren die initialen Argumente für die Beschäftigung mit der Thematik „Kollektivität“. Das kuratorische Konzept wurde schrittweise entwickelt, teils in direkter Bezugnahme auf die einzelnen Projekte der involvierten KünstlerInnen, teils infolge der zahlreichen individuellen sowie gemeinsamen Diskussionen mit den StipendiatInnen. Diese Gespräche führten in zwei Fällen zur Bildung zweier künstlerischer Figuren – des fiktiven Kollektivs Marcel und Anna (Mac) bzw. des fiktiven Individuums J. K. Bergstrand–Doley. Beide Figuren nahmen an der Ausstellung teil und stellten eigene künstlerische Produktionen vor.

Das Duo Marcel und Anna (Mac) bezeichnet eine „Zusammenarbeit“ zwischen dem Künstler Marcel Hiller und dem Sprachausgabenprogramm des Betriebssystems von Apple unter Einsatz der weiblichen Computerstimme „Anna“. Die parodierende Namensgebung, die eher an Duos aus dem Bereich volkstümlicher Musik denn an Kooperationen im Kunstbetrieb erinnert, weist auf ein gewisses Misstrauen gegenüber dem jüngsten – mitgeschuldeten – Hype um kollektive Praktiken hin.

Die Installation Tool zeigte einen Flachbildschirm, der in einer labil erscheinenden Lage an Zurrgurten und Seilen von der geringfügig geöffneten Decke des Kunstpavillons hängt. „Protagonist“ des am Bildschirm ablaufenden Videos ist ein Objekt mit skulpturalen Qualitäten, ein Residuum aus der Produktionsstraße in einer Spielzeugfabrik, das aus unterschiedlichen Winkeln betrachtet wird. Von Zeit zu Zeit spricht die Computerstimme „Anna“ einen Text, der größtenteils aus einem E-Mail-Verkehr zwischen dem Künstler und dem Kurator der Ausstellung stammt und sich auf das Ausstellungskonzept bezieht. Die zum Teil in den Überlegungen selbst formulierte Dialektik der Auseinandersetzung mit dem Thema „Kollektivität“ erhält durch die roboterhafte Aussprache der Computerstimme eine zusätzliche Akzentuierung, die in der Fragilität der Hängung eine Weiterführung erfährt.

Zwei weitere Objekte fanden sich verteilt im Ausstellungsraum: ein ausrangierter Schemel ohne Sitzfläche, der von Marcel und Anna (Mac) „gerettet“ und, schwarz gestrichen, zum Kunstwerk „veredelt“ wurde (Quitte) sowie ein zylindrischer Glasbehälter, in dem ein Stillleben arrangiert ist, bestehend aus einem Paar Armani-Sneakers, einem Klopapierständer, zwei gelb bemalten Zitronen und einigen Geschenksverpackungsschleifen (Giorgio). Beide Objekte spiegeln das Interesse von Marcel Hiller an der Arbeit mit Ready-Mades, die in diesem Fall eine Art Gegensatzpaar von Low und High generierte und damit einen Widerhall auf die im Einleitungstext formulierte Frage nach dem „Consumer Sovereign“ erzeugte.

Die fiktive Figur des oder der J. K. Bergstrand-Doley bezeichnet die Zusammenarbeit zwischen Kevin Dooley und Jens Strandberg. Das Pseudonym kann als eine Hommage an J. K. Gibson-Graham verstanden werden – dahinter stehen die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Julie Graham und Katherine Gibson, die unter diesem Namen wichtige Werke feministischer politischer Ökonomie verfassten: The End of Capitalism (As We Knew It): A Feminist Critique of Political Economy (1996) und A Postcapitalist Politics (2006). Der Ausstellungsbeitrag von J. K. Bergstrand-Doley trug den Titel Dirty Abstract Body und hatte seinen Ursprung in einem Workshop, den die zwei Künstler im April 2013 im Künstlerhaus Büchsenhausen abgehalten hatten. Darin ging es um ein kollektives, praxisbezogenes Experiment mit dem Ziel, (mögliche) Verhältnisse zwischen Hausarbeit und künstlerischer Arbeit zu reflektieren. Der Workshop wurde als ein heuristischer Versuch über häusliche Arbeit angelegt und darüber, was es grundsätzlich bedeutet, innerhalb von festgesetzten Strukturen zu arbeiten. Die Ergebnisse dieser Übungseinheiten, so genannte „spekulative Objekte“, waren nun in einer weiterentwickelten und adaptierten Fassung in der Ausstellung Collectivity Matters zu sehen. Gemäß dem Credo, dass festgefahrene, statische Strukturen Entfaltung und Emanzipation unterbinden, entfernte J. K. Bergstrand-Doley die Glasabdeckung des linken Flügels des Kunstpavillons und installierte die „spekulativen Objekte“, die größtenteils lebende Pflanzen integrieren, im Dachgeschoss des Gebäudes.

Bei der Eröffnung fand eine „Ansprache“ von J. K. Bergstrand-Doley statt; deren Dokumentation war später auf dem eingemauerten Monitor, der sich auf den aufgestapelten Glasabdeckungsplatten befand, in der Ausstellung zu sehen. Der Standpunkt des Sprechers in Bezug auf die Arbeit im Rahmen des Residenzprogramms, wo nicht nur Kunst produziert, sondern buchstäblich auch Hausarbeit verrichtet werden muss, wo Arbeit mit Privatheit und regelmäßiger Öffentlich-Machung oft ununterscheidbar zusammengeht, wurde während der Ansprache an der Durchbruchstelle im architektonischen System des Ausstellungsraums verortet. Zurückgewiesenes Material, so der Titel des vorgetragenen Textes, konstituierte sich in Folge als eine Liste von Materialien wie diejenigen, die man in der Beschreibung eines Kunstwerks vorfindet, jedoch in einem erweiterten Sinn: Diese Liste wollte alles enthalten – sowohl das Inkludierte als auch das Ausgeschlossene –, in einem Versuch, das Anwesende durch das inhärent mitkonstituierende Abwesende zu begreifen. Konsequenterweise mischten sich in den Ausführungen Arbeit mit Privatem, Verzweiflung mit Übermut, die Auseinandersetzung mit den Konnotationen im Titel der Ausstellung mit der Befragung des eigenen Standpunkts. Am Ende der Ansprache war J. K. Bergstrand-Doley auf die Hilfe der angesammelten Menge angewiesen, um aus der prekären Lage an der abgenommenen Decke des Ausstellungsraums wieder heil herunterzukommen. Dieser symbolische Akt kollektiver Rettung gelang.

Anders als Marcel Hiller, Kevin Dooley und Jens Strandberg nahmen David Rych und Dominique Hurth unter ihren eigenen Namen an der Ausstellung teil.

David Rych beschäftigt sich in seinen Videoarbeiten mit der Dialektik der Inszenierung von Realität im Massenmedium Film. Für die Ausstellung Collectivity Matters produzierte Rych drei Videos, in denen zwei weitere ProtagonistInnen der Ausstellung – die KünstlerInnen Kevin Dooley und Dominique Hurth – als AkteurInnen agierten. Die Videos zeigten je eine kurze Sequenz, in der die Handlungen Passagen aus Filmen von Woody Allen und Jean-Luc Godard zitieren.

Ein Dialog aus Woody Allens Film Play It Again, Sam (1972) zwischen Allen und einer jungen Frau vor einem Jackson-Pollock-Gemälde im Brooklyn Museum of Modern Art in New York wurde für die Situation der Ausstellung im Kunstpavillon adaptiert (Déjà-vu 1). Die Arbeit befand sich gleich beim Eingang in den Kunstpavillon, genau an der Stelle, wo sie auch gedreht worden war; durch ihre Positionierung lieferte sie den BesucherInnen eine irritierende wie augenzwinkernde „Anleitung“ zur Interpretation der ausgestellten Kunst. Die Bildeinstellung zweier Lesender auf einer Terrasse paraphrasiert eine Szene aus Jean-Luc Godards La Chinoise (1967), in der zwei StudentInnen auf einem Balkon sitzend die Mao-Bibel lesen. In Rychs Reinszenierung sind die Bücher philosophische Werke, deren Autoren in den vergangenen zwei Dekaden im (kritischen) Kunstbetrieb eine bedeutende Rolle spielten: Deleuze/Guattari, Hardt/Negri, Agamben, Foucault und Žižek (Déjà-vu 2). Die dritte Videoarbeit von Rych war nur im Innsbrucker Programmkino Leokino als Trailer für die Ausstellung zu sehen: Eine weibliche Figur sprayt auf ein vor dem Leokino geparktes Auto in roter Farbe das Wort „CINEMARX“ und geht im Eiltempo aus dem Bild. Die Sequenz ist erneut die Paraphrase einer Szene aus einem Film Godards, diesmal aus One plus One (Sympathy for the Devil, 1968) (Déjà-vu 3).

Indem Rychs Videoarbeiten sich der Reinszenierung einzelner Zitate aus dem kollektiven Gedächtnis der Film- und Kunstgeschichte bedienten, hinterfragten deren ProtagonistInnen die Behauptung eines kollektiven kritischen Bewusstseins im Kunstbetrieb.

Dominique Hurth untersuchte in ihrem Betrag mit dem Titel someone in the rear of the hall (Jemand im hinteren Teil des Raumes) das verändernde Potenzial der Platzierung eines Vorhangs im Raum, indem sie dessen haptische Manifestation auf Basis ihrer eigenen Sammlung von frühen fotografischen Inszenierungen spiritistischer Sitzungen (Séancen) zitierte. Sie rief die potenzielle Stimme ab, die hinter dem Vorhang sprechend intervenieren könnte, einem Vorhang, der als Filter, als Kulisse, als Teilung, Spaltung, Trennung oder aber auch nur als Dekor fungiert, der im Begriff ist, sich zu öffnen, zu verstecken oder zu simulieren. Im Zusammenhang der Ausstellung Collectivity Matters bezog sich das Interesse Hurths an diesem Objekt auf antike Formen mündlichen Unterrichts. Die Person, die Wissen besitzt, spricht demnach hinter dem Vorhang zu einer HörerInnenschaft, die zwar diese Stimme hört, aber deren Ursache bzw. Ursprung nicht erkennt und sich damit als bloß passive HörerInnenschaft konstituiert. Dieser Umstand findet eine gewisse Analogie in der Séance bzw. im White Cube: in zwei streng kontrollierten Umgebungen, in denen Dinge einer Stimme zugeschrieben werden können – oder eben nicht.

someone in the rear of the hall war die Fortführung der Einzelausstellung foreword (language in the darkness of the world through inverse images) von Dominique Hurth im Künstlerhaus Büchsenhausen.

Kevin DOOLEY (*1983 in Hastings/UK) lebt und versucht in Wien zu arbeiten. Er hat Schulden in der Höhe von £ 12.500 (Stand Juli 2013). Dooley verbringt viel Zeit in den Büros des Arbeitsmarktservices. Seine Arbeit an dem Projekt Art Workers Inquiry, Part II: Spectres im Künstlerhaus Büchsenhausen fühlte sich wie Ferien von Arbeitslosigkeit mit niederem Einkommen an. Nach dem Besuch eines politischen Therapeuten beschloss er, polygamer zu werden und seine Konzentration mehr den Bemühungen um gewerkschaftliches Zusammenkommen als einer Form therapeutischer Ermächtigung zu widmen.

Dominique HURTH (*1985 in Colmar/FR) lebt in Berlin. Studium an der Saint Martin’s School of Art, London (BA 2005), an der Universität der Künste Berlin (Kunst im Kontext, MA 2007) und an der École Nationale Supérieure des Beaux Arts in Paris (MA Visual Arts 2009). Fine Art Researcher an der Jan van Eyck Academie in Maastricht (2010/11). Ausstellungen (Auswahl): procreated by husband, put on ice by scientists, aroused by wife, Clockwork Gallery, Berlin (solo, 2013), Blackout, Look 13, Liverpool International Photography Festival, Liverpool (2013), le périmètre interne, Institut Français, Barcelona, La Triennale – Intense Proximity, kuratiert von Okwui Enwezor, Palais de Tokyo Paris (2012), … aber wir sind der Sprache scheißegal, Archive Books Berlin (gemeinsam mit Scriptings, Achim Lengerer, 2012).
www.dominiquehurth.com

Marcel HILLER (*1982 in Potsdam-Babelsberg/D) lebt in Aachen. Studium an der Akademie der bildenden Künste Münster, Abschluss 2008. Fine Art Researcher an der Jan van Eyck Academie in Maastricht (2010/11). Gründer von CLUB 69 in Münster (2008) und der Magicgruppe Kulturobjekt (2010). Einzelausstellungen (Auswahl): der Makler, Georg Kolbe Museum Berlin, und DESAGA, Galerie Desaga, Köln (beide 2012). Ausstellungen mit der Magicgruppe Kulturobjekt im Ludwigforum Aachen, Extra City Antwerpen, Kunstverein Nürnberg, Lothringer13_Laden München (alle 2012).
www.marcelhiller.de

David RYCH (*1975 in Innsbruck) lebt in Berlin. Studium an der Universität Innsbruck (1993–95), an der Akademie der bildenden Künste in Wien (1995–2001) und an der Bezael Universität in Jerusalem (1999–2000). Postgraduate-Studium an der École Supérieure des Beaux-Arts in Marseille (2004/05). Teilnehmer an der Manifesta 8 (2010/11) und der Berlin Biennale (2012).
www.parakanal.com/rych

Jens Strandberg arbeitet als künstlerischer Hausmeister in Stockholm, Schweden. Er ist mit einem Forschungsprojekt beschäftigt, das er Overhead and Behind – Three Joint Learning Exercises nennt. Diese Übungen beinhalten Lektionen in drei Bereichen: Arbeitsbedingungen, die Absage an Objekte und die beunruhigende Verteilung. Er selbst beschreibt Overhead and Behind als eine sozial ineinandergreifende, nicht linear heuristische DIY-learning-by-doing-Performance einer Forschungsarbeit. Das alles überspannende Thema dabei ist, Fragen nachzugehen, die sich rund um den „Körper der Arbeit“ stellen, beispielsweise die Rolle des „Körpers“ und der „Körper-Politik“ im Verhältnis zum Arbeitsprozess, zu Arbeit, Produkten und Erzeugnissen zu erforschen.
domesticartpractice.wordpress.com


Veranstaltungsort

Kunstpavillon
Rennweg 8a
A-6020 Innsbruck

+43 512 58 11 33
office@kuveti.at