Kristina Inčiūraitė: Zones of Exception

Ausstellung, Künstlerhaus Büchsenhausen, 10.12. – 30.12.2005
Künstlergespräch, Künstlerhaus Büchsenhausen, 10.12.2005

Kristina Inčiūraitė zeigte in der Ausstellung im Künstlerhaus Büchsenhausen Arbeiten aus der Serie Stages (2002–05) sowie zwei neue Videoinstallationen.

Die litauische Philosophin Audronė Žukauskaitė schrieb über die Arbeit von Kristina Inčiūraitė: „[Ihre] Videos präsentieren uns statische Bilder, die eine Art von sozialer Lähmung, Spannung und Ausschließung andeuten. Eine Bühne, die metonymisch die Bühne der Repräsentation selbst darstellt, bleibt immer leer oder, um es genauer zu sagen, wird bewusst geleert. Das spiegelt sich auf der sozio-politischen Ebene in den Veränderungen der ökonomischen Konstellationen wider – Orte, die im Zeitalter des Sozialismus wichtig waren, sind mittlerweile entweder verlassen oder wurden von anderen Ästhetiken oder Ideologien besetzt. […] Die Künstlerin spricht über einige davon ausgenommene Zonen [im heutigen Litauen], die, von der kapitalistischen Ideologie und Ordnung ausgeschlossen, an den Rand gedrängt sind. Diese Ausnahmezonen erscheinen seltsam vital, voller Emotion, Stimmen und Geräusche. Die Ästhetik der Ausnahmezonen wird durch das Thema Femininität vermittelt, obwohl Frauen bewusst nicht ins Bild gerückt werden. Diese doppelte Ausnahme verwandelt sich in einen absoluten Positivismus, der im Soundtrack/in der Stimme zum Ausdruck kommt, die die Kamera mit körperlicher Substanz erfüllt, ohne ihr eine ideologische Bedeutung aufzuzwingen.“

Arbeiten in der Ausstellung

Lakes, Zwei-Kanal-Video, 2004, 7 Min.

Lakes besteht aus zwei Teilen, zwei visuellen Erinnerungen älterer Frauen an litauische Seen, die in ihrem Leben eine bedeutende Rolle spielten. Im ersten Teil erinnert sich die Mutter der Künstlerin an die Seen in der Nähe von Šiauliai, wo Inčiūraitės Eltern seit ihrer Jugend leben. Im zweiten Teil erzählt der litauische Filmstar Vaiva Mainelytė von jenen Seen, die ihr zu Ruhm verhalfen, als sie als junge Schauspielerin die Hauptrolle in Devil’s Bride (1974) übernahm. Als Kulisse für den Film, der im Litauen der 1970er-Jahre Kultstatus erreichte, diente die Seenlandschaft von Aukštadvaris.

Unterschiedliche Erinnerungen an Seen, erzählt von zwei Frauen aus derselben Generation, dokumentieren die subjektive Erfahrung der Vergangenheit und schaffen in Verbindung mit den Bildern der zugefrorenen und somit unzugänglichen Gewässer eine neue Definition der symbolischen Domäne der Weiblichkeit.

Greetings, Drei-Kanal-Video, 2005, 3 Min.

Die Protagonistinnen dieser Arbeit sind drei Mädchen, die auf abgelegenen Bauernhöfen in der Nähe von Viešintos im Bezirk Anykščiai in Litauen leben. Viešintos ist das Dorf, aus dem Inčiūraitės Vater stammt, und ein Ort, den die Künstlerin häufig besucht. In der Hoffnung auf ein besseres Leben verlassen junge Menschen ihre Dörfer, um in größere Städte zu ziehen; die Zahl der Kinder, die eingeschult werden, nimmt von Jahr zu Jahr ab. Symbolisch für die immer kleiner werdende Zahl junger Menschen stehen Bilder der drei Mädchen, die weiß-in-weiß erscheinen und sich in der Winterlandschaft aufzulösen scheinen.

Arbeiten aus der Reihe Stages:

Leisure, 2003, Ein-Kanal-Video, 5 Min.

Leisure spielt in Visaginas, der jüngsten Stadt Litauens, die 1975 erbaut wurde, um den Angestellten des Kernkraftwerks Ignalina eine Wohnstatt zu bieten.

Der Gesang eines Jugendchors, der im Kulturzentrum von Visaginas probt, hallt über die leere Bühne. Der Text des Liedes erzählt von dem verzweifelten und tiefen Vertrauen in die Zukunft, das die Zeit der Sowjetunion prägte: „Wir wünschen euch Glück, Glück in dieser großen Welt.“ Im Visaginas von heute ruft dieses Lied lange nicht mehr so positive Assoziationen hervor. Angesichts der geplanten Schließung des Kernkraftwerks könnte sich die Stadt ebenso rasch entvölkern, wie sie einst gewachsen war. Die leere Bühne steht sinnbildlich für die drohende Zukunft.

Spinsters, 2003, Ein-Kanal-Video, 4 Min.

Ort der Handlung ist die in Vilnius gelegene Besserungsanstalt für Mädchen. Eine Ziegelsteinmauer, hinter der man die gemächliche Renovierung der auf dem Gelände befindlichen halb verfallenen russisch-orthodoxen Kirche beobachten kann, verbirgt den inneren Rhythmus des Anstaltslebens – die alltäglichen Freuden und Leiden der Insassinnen.

Anlässlich des Schulschlusses geben die Mädchen eine Performance zum Besten, deren Höhepunkt die „Alte Jungfern“-Show ist. Die Show selbst wird im Film nicht gezeigt, sondern durch verschiedene Details angedeutet: die krachende Plattenaufnahme eines litauischen Popsongs über die Liebe, ein Vierzeiler aus der Show, der Rücken einer in traditionelle Tracht gekleideten jungen „Jungfer“, die wirkt wie eine alte Frau. Trotz aller Bemühungen der Mädchen, das Thema „alte Jungfern“ humoristisch zu bearbeiten, vermitteln diese Fragmente, die die soziale Isolation der Protagonistinnen durchblicken lassen, ein Gefühl der Melancholie.

Order, 2004, Ein-Kanal-Video, 6 Min.

Zwei junge Polizistinnen erzählen von ihrer Arbeit bei der Polizei von Vilnius. Es ist ein harter Job, der ihnen intensive physische und psychologische Vorbereitung abverlangt. Die Polizistinnen erzählen mit viel Feingefühl von ihren Erfahrungen, davon, dass die Ausbildung an der Schusswaffe zu kurz kommt, und davon, dass ihnen ihr Geschlecht und ihre relative Jugend zuweilen die Ausübung ihrer Pflichten erschweren.

Die Geschichte der Polizistinnen wird begleitet von Bildern einer jungen, hektisch umherirrenden Hündin und eines aufgelassenen Schießstandes. Das Bildmaterial spiegelt die Situation der Polizistinnen wider.

Shutdown, 2004, Ein-Kanal-Video, 6 Min.

Im Jahr 2002 wurde das „Gintaras“, eines der luxuriösesten Hotels von Vilnius, das auch ein großes und beliebtes Restaurant beherbergte, geschlossen. Später wurde das aus der Sowjet-Ära stammende Hotel renoviert und umbenannt. Die ursprüngliche Atmosphäre des alten Hotels ist damit verschwunden, was bleibt, sind der Schriftzug „Gintaras“ auf dem Dach des Gebäudes und das immer noch geschlossene Restaurant mit seiner aufwendig gestalteten Bühne. Diesen Überbleibseln des „Gintaras“ widmet sich das Video, das ein Flair von Nostalgie ausstrahlt: Die blinkende Neonreklame des nicht existenten Hotels lockt uns einzutreten, das leere Foyer des Restaurants hallt wider von der Musik des Konzertes, das anlässlich der Schließung des alten Hotels stattfand, und ein Mitglied der Band Bobų vasara („Indian Summer“) schwelgt gemeinsam mit einer Bardame in Erinnerungen an die Abschlussparty, die den Glamour und das luxuriöse Ambiente des „Gintaras“ in die Vergessenheit verabschiedete.

Kristina Inčiūraitė (*1974) lebt in Vilnius/LT. Ihre Videoarbeiten protokollieren und reflektieren soziale und psychologische Veränderungen in der litauischen Gesellschaft nach der Sowjetära, indem sie persönliche Erinnerungen zum Thema machen und Auffassungen von weiblicher Identität untersuchen.
www.inciuraite.lt

Veranstaltungsort

Künstler:innenhaus Büchsenhausen
Weiherburggasse 13
A-6020 Innsbruck

+43 512 27 86 27
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