On the Continuity of War

Filme von Yarema MALASHCHUK und Roman HIMEY, Daniil REVKOVSKIY und Andriy RACHYNSKIY, Mykola RIDNYI | Künstlergespräch mit Mykola RIDNYI

Mykola Ridnyi: Regular Places, 2015/22. Filmstill.

Organisiert von Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists – Innsbruck

Drei Videoarbeiten ukrainischer Künstler, kuratiert vom ehemaligen Büchsenhausen Fellow Mykola RIDNYI, zeigen unterschiedliche Perspektiven auf den Krieg, das Wesen des Bewegtbildes und die Idee einer neuen Kunstproduktion im gegenwärtigen Kontext.

Programm:
Mykola Ridnyi: Regular Places (2015/22)
Daniil Revkovskiy und Andriy Rachynskiy: Sky. Invasion (2022)
Yarema Malashchuk und Roman Himey: The Wanderer (2022)

Mykola Ridnyi wird anwesend sein und nach dem knapp 40-minütigen Screeningprogramm für ein öffentliches Gespräch zur Verfügung stehen.

Eintritt: frei / Spenden gehen an Office Ukraine

Office Ukraine. Shelter for Ukrainian Artists wurde für ukrainische Künstler:innen und Kulturschaffende aller Disziplinen eingerichtet, die vor dem Krieg in Ukraine fliehen und in Österreich Schutz suchen. Die Plattform koordiniert vielfältige zivilgesellschaftliche und institutionelle Initiativen und tritt als Verbindungsstelle zwischen Institutionen und Personen in Österreich und Kunst- und Kulturakteur:innen aus Ukraine auf.
www.artistshelp-ukraine.at

Mykola Ridnyi schreibt:

Jede Person versteht ihre Aufgabe während des Krieges auf ihre Weise. Mit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine im Februar 2022 traten manche in die Armee ein, um das Land zu verteidigen, andere wurden Teil der Freiwilligenbewegung und begannen, Vertriebenen und Opfern zu helfen, wieder andere versuchten einfach, ihr eigenes Leben und das ihrer Angehörigen zu retten. Wie können Künstler:innen ihre berufliche Tätigkeit fortsetzen und über die sie umgebende extreme Realität reflektieren? Drei Videoarbeiten ukrainischer Künstler zeigen unterschiedliche Perspektiven auf die Zeit des Krieges, das Wesen des Bewegtbildes und die Idee einer neuen Kunstproduktion im gegenwärtigen Kontext. Diesen Statements gemeinsam ist die Zurückweisung einer linearen Geschichte und des Heldentums, die dem traditionellen Dokumentarfilm innewohnen, aber auch der Wunsch, jeden Moment einzufangen und ins Epizentrum der Ereignisse zu gelangen – der üblichen Praxis im heutigen Journalismus entsprechend.

Meine Arbeit Regular Places entstand 2015, kurz nachdem Russland die Krim annektiert und den Krieg im Donbas entfacht hatte. Die Konfrontation zwischen den Befürworter:innen einer unabhängigen Ukraine und der europäischen Integration auf der einen Seite und den „Separatist:innen“, die sich Russland anschließen wollten, auf der anderen Seite hat die Stadt Charkiw stark beeinflusst. Die Straßenkämpfe, die mit der Niederlage der prorussischen Bewegung endeten, hinterließen Traumata, die die Stadt jahrelang prägten. Im Film unterbrechen die Geräusche der Gewalt aus der Vergangenheit die Szenen des relativ friedlichen Lebens, das darauf folgte. In Charkiw, ja in der gesamten Ukraine, war es jedoch ein Irrtum zu glauben, dass die Gewalt und die Konfrontation mit Russland überwunden seien. Jene öffentlichen Plätze im Stadtzentrum von Charkiw, auf denen Aktivist:innen vor einigen Jahren gekämpft hatten, wurden 2022 von russischer Artillerie zerstört. Der Film wurde um Aufnahmen dieser Zerstörung erweitert, denn der aktuelle Krieg ist eine Fortsetzung der Auseinandersetzungen der Vergangenheit und wird unsere Zukunft für immer verändern.

Der Krieg verändert die Wahrnehmung des öffentlichen Raums und vor allem der Landschaft. Die Betrachtung des Himmels war schon immer eine Quelle der Freude. Ein Vogelflug, Wolkenformationen, eine sternenklare Nacht trugen zum Gefühl des Friedens bei. Mit dem Abschuss der ersten russischen Raketen über ukrainischem Gebiet wurde der Himmel zu einem Symbol der Bedrohung – jetzt wird in ihm Gefahr gesehen. Man kann sich vor ihr nur unter der Erde verstecken, denn der Himmel beginnt über jeder Oberfläche. Die Arbeit Sky. Invasion (2022) von Daniil Revkovskiy und Andriy Rachynskiy besteht aus gefundenem Filmmaterial, das diesen Beobachtungen gewidmet ist. Die Parallelbilder des friedlichen und des militärischen Himmels folgen dem Ablauf des Tageszyklus vom Morgengrauen bis zur Abenddämmerung. Dazu erklingen verschlüsselte Nachrichten, die aus Zahlen sowie dem phonetischen Alphabet der militärischen Radiosender UVB-76 und Kraplia bestehen. Sie wurden zwar 2022 aufgenommen, werden aber seit dem Kalten Krieg verwendet – ein Umstand, der auf einen anderen Zeitzyklus anspielt, ohne den es unmöglich wäre, über den Krieg in der Ukraine zu sprechen: Den Abschnitt vom alten Kalten Krieg bis zur aktuellen politischen Konfrontation zwischen modernen Imperien.

Yarema Malashchuk und Roman Himey arbeiten mit inszenierten Bildern, die Körper in der Natur zeigen. Es sind ihre eigenen Körper, und die Landschaft die Karpaten in der Nähe ihrer Heimatstadt Kolomyia, die nicht direkt von den Kriegswirren betroffen ist. In unnatürlichen Positionen liegend und in Trekking-Kleidung gehüllt, scheinen sie uns zu fragen: Wer wird hier abgebildet? Die Künstler spielen in The Wanderer (2022) auf die Leichen russischer Soldaten an, die auf den Bildern von Militärfotografen zu sehen sind, ohne offen über diese Referenz zu sprechen. Auch im Falle militärischer Taktiken und Strategien gibt es keine Offenheit: 2014 konnte man von den russischen Kämpfern hören, sie seien nicht zum Kämpfen in die Ukraine gekommen, sondern um Urlaub zu machen; heute hört man, dass sie sich beim Training lediglich verlaufen hätten. Nach Angaben der Künstler bezieht sich die Arbeit auf die Fotoserie If I were a German der Charkiwer Fast Reaction Group. Die Serie entstand 1994 und hielt die Performance von Künstlern fest, die in Nazi-Uniformen gekleidet deutsche Soldaten während der Besatzung darstellten. Manche bezeichnen den Vergleich des heutigen totalitären Regimes in Russland mit Nazideutschland als spekulativ, obwohl meiner Meinung nach einige Parallelen offensichtlich sind. Auf jeden Fall ist es keine Übertreibung, dass die russische Invasion in die Ukraine der größte Krieg in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ist.

September 2022,
Mykola Ridnyi

Mykola RIDNYI ist Künstler, Filmemacher und Essayist und lebt in Kiew, Ukraine. Seine Arbeit ist medienübergreifend und reicht von frühen politischen Aktionen im öffentlichen Raum bis hin zur Verschmelzung von ortsspezifischen Installationen, Fotografie und Bewegtbildern. In seinen jüngsten Filmen experimentiert er mit nichtlinearen Montage- und Collagetechniken an der Schnittstelle zwischen Dokumentation und Fiktion. Die Verbindung mit alternativen Zeiten und Phänomenen, der Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft sowie die drängende Polemik der Manipulation des historischen Gedächtnisses, die sich aus zeitgenössischen politischen Agenden ableiten lässt, gehören zu den Hauptthemen, die sich in seinen Engagements, Initiativen und Projekten zeigen.
Ridnyi war Gründungsmitglied der Gruppe SOSka – ein Kunstkollektiv, das seinen Ursprung in Charkiw, Ukraine, hat. Er ist mitwirkender Herausgeber von Prostory, einem Online-Magazin über Kunst und Gesellschaft. Seine Werke wurden u.a. auf der Biennale für zeitgenössische Kunst in Venedig, der Biennale Schule von Kiew – Kiew, der Pinakothek der Moderne in München, der daad galerie in Berlin, der Transmediale in Berlin, dem Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, der Galerie für Zeitgenossische Kunst in Leipzig, dem Museum für Moderne Kunst in Warschau und der Bonniers konsthall in Stockholm ausgestellt. Er war u.a. Stipendiat der Akademie der Künste in Berlin, Iaspis in Stockholm und Gaude Polonia in Krakau.
http://www.mykolaridnyi.com/

Veranstaltungsort

Künstler:innenhaus Büchsenhausen
Weiherburggasse 13
A-6020 Innsbruck

+43 512 27 86 27
office@buchsenhausen.at