Michelle Schmollgruber

Feigenbaumszenario Ausschnitt; Collage, Fotoplakat, geknüpfter Wandteppich. Foto: Michelle Schmollgruber

Die Fotografie und Michelle Schmollgruber haben einander schon früh gefunden. Auch die Zuwendung zum Textilen ließ nicht lange auf sich warten. So begann die seit nunmehr fünf Jahrzehnten gewachsene Überschneidung zwischen fotografischem und textilen Arbeiten – und die Entwicklung einer Praxis, die vor allem eines braucht: Zeit.

Die Zeit, die für die Belichtung des Sensors oder Films benötigt wird, ist für Michelle zu kurz, die Fotografie ein zu schnelles Medium. Erst in Zeitlupe werden manche Dinge sichtbar. Erst in der Übersetzung der Fotografie durch unzählige knüpfende, stickende, webende filigrane Gesten – durch Hand-Arbeit – wird das Bild ganz. In einer Gesellschaft, die durch Beschleunigung versucht, an Stabilität zu gewinnen, ist die Entscheidung, den längsten Weg zwischen zwei Punkten und darüber hinaus zu gehen, ein mindestens widerspenstiger Akt.

Sich als berufstätige Frau, die sich mit der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an Mütter konfrontiert sah, Raum und Zeit für das Knüpfen von Bildern zu schaffen – auch wenn es eine nach wie vor weiblich konnotierte Tätigkeit ist – ebenso.

Angelehnt an eine Fotografie belichtet Michelle die Knüpfleinwand mit ihren Händen. Während die Anzahl der Pixel in der Übersetzung von der Fotografie zum langsam entstehenden Wandteppich zwar abnimmt, wird durch die Voluminösität der Wolle ein dreidimensionaler Raum aufgespannt, in dessen Tiefe man sich verlieren kann.

„Wir berühren Dinge, um uns der Realität zu vergewissern“, schreibt Anni Albers, eine große Textilkünstlerin, der als Frau in den 1920er Jahren der Zugang zu männlich dominierten Disziplinen erschwert und der Webstuhl nahegelegt wurde und die daraufhin die Webkunst revolutionierte.

Die Fotografie ist in Michelle Schmollgrubers Arbeiten weder Ausgangs- noch Endpunkt, aber immer ein Knotenpunkt, an dem die Fäden zusammen- und wieder auseinanderlaufen. In ihren Arbeiten gibt es kein Entweder-Oder, spannend wird erst der verbindende weite Raum dazwischen. Digital und analog gehen dabei ineinander über – In seltenen Fällen bleibt die Fotografie als zweidimensionaler Portrait-Abzug stehen, verknüpft mit Fragen an die fotografierte Person, die in die Tiefe führen.

Michelle SCHMOLLGRUBER (*1967) arbeitet mit Textilem, macht Streetart sowie Sounddesign und setzt sich seit frühester Jugend mit Fotografie auseinander. Zu ihren aktuellen Arbeiten zählen unter anderem die fotografischen Rauminstallationen Feigenbaumszenario 1.0 – 4.0 (2020-2021), das Projekt lamonstera – Zurück zu den Wurzeln (2020) sowie die fotografischen Fragmente mehr oder weniger ich (2019). Schmollgrubers Arbeiten wurden unter anderem im Rahmen der Slide Show: Rethinking Nature der Fotofestivals FOTO WIEN (2022),  IMAGO LISBOA (2021) und Mois européen de la photographie Luxembourg (2021), im Fotoforum Innsbruck (2016), im Kontext des Demokratie-Kongress Innsbruck (2011) und in der Galerie im Andechshof Innsbruck (2000) gezeigt.
https://www.michelleschmollgruber.com