Forever Waste Depositing

Bettina KNAUP im Gespräch mit Simone MÜLLER (Forscherin) und Anna ZETT (Künstlerin und Autorin)

Production Shot der Video- und Installationsserie "Deponie" von Anna Zett. © Anna Zett

Im Rahmen ihres Projekts common wastes lädt Bettina Knaup (Fellow) Simone M. Müller und Anna Zett ein, ihre wissenschaftlichen und künstlerischen Perspektiven auf Müllauslagerung und -deponierung zu teilen und die Fiktion der „Ent-sorgung“ kritisch zu befragen.

Die ersten beiden Teile der Veranstaltung – Vortrag und Screening – sind hybrid. Sie können entweder vor Ort im Künstlerhaus Büchsenhausen teilnehmen oder Vortrag und Screening online, via Zoom und Facebook, verfolgen. Den Zoom-Link erhalten Sie nach der Anmeldung über Eventbrite. Das anschließende Gespräch sowie die Installation von Anna Zett sind ausschließlich für Teilnehmende vor Ort im Künstlerhaus Büchsenhausen konzipiert.

Die Veranstaltung findet in englischer Sprache statt.

 

Vortrag (18:00 – 18:45)

Simone M. Müller: Müllströmungen. Historische Perspektive auf Entsorgung und globale Ungleichheit
Abfall ist eines der komplexesten und umstrittensten Objekte des menschlichen Alltags. Er verkörpert Erzählungen von Verfall und Niedergang, von Auferstehung und Wiederauferstehung, von Verschmutzung und Toxizität und damit letztendlich auch von Gewalt und Ungleichheit. Abfall ist allgegenwärtig – wir können nicht vermeiden, auf die eine oder andere Weise darauf zu stoßen, egal wie sehr wir uns bemühen, Abfallobjekte außer Sichtweite zu bringen, sie zu vergraben und zu verbrennen, sie zu entsorgen, wegzuwerfen oder zu zerstören. Alles ist Abfall und Abfall ist überall.
Es sind die stets wachsenden Abfallberge, weltweit, die nicht erst, aber in ganz neuer Qualität seit den 1970er und 1980er Jahren zu (Aus-)Sortierpraktiken geführt haben, die eng verwoben sind mit menschlichen Mechanismen der Abgrenzung, der Ausgrenzung und des (Umwelt-)Rassismus. Basierend auf einem globalen Flickwerk regulativer Vorstellungen von Müll und Entsorgung, richteten sich Müllströmungen entlang globaler Achsen von nationalem Einkommen, Wirtschaftswachstum, politischer Stabilität oder bestehenden Umweltgesetzgebungen aus. Eine Armada an mit Müll aus den Industriestaaten beladenen Schiffen macht sich auf gen Süden, oft unter legalen Prämissen.
Der Beitrag beleuchtet diese globalen Müllströmungen seit den 1970er Jahren und sortiert sie kulturell, ökologisch und ökonomisch.

 

Screening und Installation (19:00 – 20:00)

Anna Zett: Altlastensanierung (Remediation)
HD Video 2021, 4:3, 39 min, Deutsch mit englischen Untertiteln

Altlastensanierung widmet sich den emotionalen Überresten der DDR, der Symbolik der Entsorgung, Absonderung, Sanierung. Anna Zett verarbeitet historisches Audio- und Videomaterial aus dem Berliner Archiv der DDR-Opposition und kombiniert es mit eigenen Aufnahmen, u.a. von den praktisch unsanierbaren Deponien der ehemaligen Chemieindustrie in Bitterfeld-Wolfen. Rhythmisch und emotional strukturiert durch Tonaufnahmen aus einem 1986er Lyrikabend in Ost-Berlin, fokussiert Altlastensanierung auf schadhafte Formen des Kontakts zwischen Mensch und Umwelt in der späten DDR und fragt nach dem heutigen Umgang mit toxischen Hinterlassenschaften. Aufnahmen vom Hungerstreik in der im September 1990 zum zweiten Mal besetzten Stasizentrale in Berlin-Lichtenberg eröffnen einen politischen Resonanzraum, in dem das Erinnern an die gewaltgeprägten Überreste der DDR von Mut und Humor getragen wird.

Anna Zett: Endarchiv
Video 2019, 16:9, 18’21“

Ein Kieshaufen von industriellen Ausmaßen dient als Oberfläche für eine Schreibperformance. Eine Person sprüht in roter Schrift „Liebe Umwelt“ auf den Haufen, offenbar in der Hoffnung, dass Sprache ein geeignetes Medium ist, um mit dem Ökosystem in Kontakt zu treten. „Liebe Umwelt, es gibt etwas, das übrig geblieben ist.“ Die Performance ist mit Aufnahmen einer spontanen Aktion von Künstler:innen verwoben, die im November 1989, kurz nach der Öffnung der Grenze, die Ostseite der Berliner Mauer bemalten und beschrieben. Stein ist nicht immer ein fester Boden, Schrift nicht immer ein solides Medium der Erinnerung.

 

Gespräch: Format für offene Stimmen und Ohren (20:15 – 21:00)

Inspiriert von ihrem partizipativen und kollaborativen Projekt Postsozialistische Gruppenimprovisation wird Anna Zett im Anschluss an Vortrag und Screening ein nach einfachen Regeln strukturiertes Format anleiten, welches allen Teilnehmer:innen Gelegenheit gibt, sich mit verbalen und non-verbalen Mitteln einzubringen und dabei Fragen, Wissen, Erfahrungen, Zweifel und Gefühle zu teilen.

 

Bettina Knaup, freie Kuratorin und Autorin (Berlin), hat zahlreiche internationale Festivals, Ausstellungen und Projekte (ko-)kuratiert, darunter das International Festival of Contemporary Arts City of Women (Ljubljana, 2001–2004), performing proximities (Beursschouwburg, Brüssel, 2008), performance platform. body affects (Sophiensaele, Berlin, 2012) und das Archiv- und Performanceprojekt re.act.feminism, das von 2008 bis 2013 durch Europa tourte (u.a. Akademie der Künste Berlin, Fundació Antoni Tàpies, Barcelona, Wyspa Institute of Art, Gdańsk, Tallinn Art Hall) und 2022 im Rahmen der Manifesta 14 in Pristina eine Neuauflage erfuhr. Sie publiziert, unterrichtet und arbeitet regelmäßig mit anderen Künstler:innen und Kurator:innen zusammen.
https://www.reactfeminism.org/

Simone M. Müller (D) ist DFG Heisenberg Professorin für Global Environmental History and Environmental Humanities an der Universität Augsburg. Von 2016 – 2023 war sie Projektleiterin der Emmy Noether-Forschungsgruppe Hazardous Travels: Ghost Acres and the Global Waste Economy am Rachel Carson Center in München. Gemeinsam mit ihrem vierköpfigen Team untersuchte sie dabei die Strukturen und Dynamiken des internationalen Handels mit gefährlichen Abfällen seit den 1970er Jahren.

Anna Zett (*1983 in Leipzig) ist Künstlerin und Autorin. In ihrer zeitbasierten, analytischen, emotionalen und mitunter partizipatorischen Arbeit stellt sie Kontrollsysteme in Frage und Spiel und Dialog in den Mittelpunkt, um an Orten des Verlusts und der Zerstörung neue, lebendige Kontakte entstehen zu lassen. Ihre Videoarbeiten werden im internationalen Kunstkontext gezeigt, darunter Serpentine Gallery London, Whitney Museum New York, Berlinale Forum Expanded. Ihre Suche nach feministischen Praktiken der Weltgestaltung konzentrierte sich in den letzten Jahren auf die Reaktivierung unbewusster Hinterlassenschaften der DDR, woraus die Werkreihe Deponie sowie das partizipative Format Postsozialistische Gruppenimprovisation hervorging. Mit letzterem, eine Zusammenarbeit mit dem Performer/Choreographen Hermann Heisig, war sie 2020-21 Stipendiatin des Berliner Förderprogramms Künstlerische Forschung. Zu ihren Veröffentlichungen zählen zwei experimentelle Hörspiele für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sowie die literarische Textsammlung Artificial Gut Feeling (Divided Publishing, 2019).
https://annazett.net/

Veranstaltungsort

Künstlerhaus Büchsenhausen | Streaming via Zoom und Facebook

Registrierung für Zoom via Eventbrite